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Emerald: Hörspiel

Titel: Emerald: Hörspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Stephens , Alexandra Ernst
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Schimmer. Sie klappte das Buch in der Mitte auf. Die Seite war leer. Mit den Fingern strich sie über das Pergament; es war trocken und wellig vor Alter. Sie blätterte eine steife, knackende Seite um. Leer. Noch eine Seite. Auch leer. Und noch eine. Und noch eine. Alle leer. Dann, gerade als sie das Buch zuklappen wollte, passierte etwas.
    Ihre Finger lagen auf der Seite, die sie zuerst aufgeschlagen hatte, und ihr war, als ob sie plötzlich ein Bild vor sich sähe. Sie sah ein Dorf am Ufer eines Flusses. Da war ein Turm. Frauen wuschen Wäsche im Fluss. Und das Bild war nicht starr: Sie konnte sehen, wie sich das Wasser kräuselte und sich die Zweige der Bäume im Wind wiegten. Sie glaubte sogar, das leise Läuten einer Kirchenglocke zu hören.
    »Was machst du da?«, stöhnte Emma.
    Kate klappte das Buch zu und schob es wieder unter die Matratze.
    »Nichts«, sagte sie und schlüpfte wieder unter die Bettdecke. »Schlaf weiter.«

KAPITEL 6
Die schwarze Seite
    Gleich am nächsten Morgen spannte Miss Sallow sie wieder zum Putzen ein, und über den Aufgaben, die sie von der Haushälterin bekamen, und ihren Versuchen, Dr. Pym aus dem Weg zu gehen, wurde es Nachmittag, bis Kate und Emma endlich vor Abrahams Kamin saßen, Apfelsaft tranken und seinen Ausführungen darüber lauschten, was für eine Mühe es ihn gekostet hatte, eine Gans aufzutreiben.
    »Ich will mich ja nicht beklagen. Ich mag saftigen Gänsebraten genauso wie jeder anständige Mann, aber einen alten Kerl wie mich an einem so eisigen Tag durchs halbe Land zu schicken! Kalt war es, so kalt wie im Grab. So kalt wie in zwei Gräbern! Noch etwas Apfelsaft?«
    Abrahams Zimmer im Turm war völlig rund. Die Fenster blickten in alle vier Himmelsrichtungen. Aber das Bemerkenswerte – abgesehen von der kreisrunden Form – waren die Fotografien, die jeden Zentimeter der Wände bedeckten. Und das
war noch nicht alles: Stapelweise lagen die Fotos auf dem Boden, unter Stühlen, auf den Tischen. Es waren Hunderte, Tausende Fotos und alle waren sie gelb und verblasst vor Alter.
    »Früher«, sagte Abraham, als sie sich sprachlos umschauten, »habe ich leidenschaftlich gerne fotografiert. Vielleicht weil ich mit diesem schlimmen Bein geboren wurde und nicht in den Minen arbeiten konnte. Aber die Zeiten ändern sich. Ich habe seit Jahren kein Foto mehr gemacht.«
    Er beugte sich vor und goss ihnen Apfelsaft nach. »Ist auch bestimmt alles in Ordnung? Ihr wirkt ein wenig blass um die Nase. Ich hoffe, euer Bruder hat euch nicht angesteckt.«
    »Uns geht’s gut.«
    Zwischen Kate und Emma hing die Gewissheit, dass es Heiligabend war und somit auf den Tag genau zehn Jahre her, seit ihre Eltern verschwunden waren. Als sie sich am Morgen ankleideten, hatte Emma Kate ganz unvermittelt und wortlos in den Arm genommen. Sie hatten mitten in ihrem Zimmer gestanden und einander festgehalten.
    »Ihr habt also den Doktor kennengelernt. Er ist nicht aus Cambridge Falls. Ist eines Tages einfach hier aufgetaucht und hat das Haus gekauft, vor über zehn Jahren. Hat mich und die alte Sallow eingestellt.«
    »Abraham …« Kate und Emma hatten entschieden, dass sie Klartext reden mussten. Sie brauchten Antworten, und der alte Mann war ihre größte Hoffnung, sie zu bekommen. »Können Sie sich an uns erinnern? Ich meine … von früher. Von einem Tag vor langer Zeit am See. Sind wir damals irgendwie einfach … aufgetaucht?«
    Kate wusste, dass Abraham vor zwei Tagen keine Ahnung gehabt hätte, worüber sie redete. Aber seitdem hatte sich
einiges verändert: Sie, Emma und Michael waren in die Vergangenheit gereist. Und diese Vergangenheit war jetzt eine andere. Folglich müsste auch Abrahams Erinnerung heute anders sein als vor zwei Tagen. Und tatsächlich fing der alte Mann an zu lächeln, noch bevor sie das letzte Wort ausgesprochen hatte.
    »Ob ich mich erinnere? Drei Küken, die einfach – Plopp! – aus dem Nichts auftauchen? So was vergisst man doch nicht! Als ich euch vorgestern aus dem Boot steigen sah, dachte ich bei mir: Abraham, alter Junge, das sind dieselben Kinder, die vor fast fünfzehn Jahren plötzlich vor dir standen. Und schau sie dir an: Keinen Tag älter geworden sind sie!« Abraham beugte sich vor. »Ich vermute, ihr habt inzwischen alles herausgefunden, stimmt’s? Die Wahrheit über Cambridge Falls, meine ich.«
    Kate schüttelte den Kopf. »Deswegen sind wir hier.«
    »Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen! Zwei Kinder, die durch die Zeit reisen können, und ich

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