Emerald: Hörspiel
sie musste sich wieder hinlegen.
»Essen, das brauchst du jetzt. Grannys Eintopf. Der macht dich stark.«
»Ich muss mit Gabriel reden. Meine Geschwister sind noch im Berg. Wir müssen sie suchen, sonst sind sie verloren.«
»Nicht verloren, oh nein, ganz und gar nicht verloren.« Die alte Frau mischte und rührte etwas in einer Schüssel. Ihre Bewegungen waren ruhig und sicher. Sie fügte eine Prise von diesem und jenem hinzu, öffnete etliche Fläschchen und Döschen an ihren Halsketten, ließ ein paar Krümel eines silbrigen Puders und drei Tropfen einer grünen Flüssigkeit in die Schüssel fallen, in der sie die ganze Zeit rührte. »Nicht verloren. Gefunden.«
»Was meinen Sie damit? Sind sie etwa hier? Wo denn?«
»Nicht hier, nein. Immer noch im Berg. Gefunden haben sie einen Freund. Immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. « Sie schaute zu dem Jungen vor dem Feuer. »Beeil dich mit dem Eintopf.«
»Was soll das? Einen Freund? Wo?«
Die alte Frau schabte die Mixtur aus der Schale in einen hölzernen Becher, goss Wasser darauf, rührte um und hielt Emma den Becher hin. »Trink das.«
Anfangs schmeckte Emma nur Erde, aber dann spürte sie das Aroma von Minze und Rosmarin, von Honig und von etwas, das sie an Sonnenlicht und Vogelgesang erinnerte. Sie senkte den Becher. Sie spürte, wie sich eine weiche goldene Welle in ihrem Blut ausbreitete, in ihre Fingerspitzen und in ihre Zehen wanderte, geradewegs bis in ihre Haarwurzeln, und sie von innen her wärmte. »Wow!«
Die alte Frau lächelte, woraufhin sich die Anzahl der Runzeln
in ihrem Gesicht verdoppelte. »Die alte Granny weiß so dies und das, nicht wahr?«
»Wen haben Kate und Michael gefunden?«
»Den Zauberer.«
»Wie bitte? Doch nicht etwa Dr. Pym? Sie haben Dr. Pym gefunden ? ! Woher wissen Sie das?«
»Ich hab’s gesehen, was sonst? Dumme Frage.«
»Tja, wir müssen trotzdem zu ihnen. Dr. Pym muss diese böse Hexe töten. Sie ist schrecklich! Wo sind sie denn? Wir müssen jetzt gleich los!«
Die alte Frau schüttelte den Kopf und hob einen Korb vom Boden auf. Emma hörte Geschirr darin klappern. »Dir ist ein anderer Weg bestimmt.« Sie schlug die lederne Plane zurück, die vor dem Eingang der Hütte hing, und ließ kurz das strahlende Morgenlicht ein. Dann wandte sie sich an den Jungen am Feuer. »Sorg dafür, dass sie isst. Ich gehe zu Gabriel.«
»Warten Sie!«, rief Emma. »Ich will …« Aber als sie aufstehen wollte, verließen sie ihre Kräfte, und sie brach auf dem Boden zusammen.
Der Junge kam zu ihr und half ihr, sich wieder ins Bett zu legen. Da sah sie, dass es gar kein Junge war, sondern ein Mädchen, vielleicht ein Jahr jünger als Kate, aber dünn und drahtig und mit kurz geschorenen Haaren.
Das Mädchen ging ziemlich grob mit Emma um, schob sie ohne Umstände ins Bett und wandte sich dann wieder zum Feuer. Sie schaufelte Eintopf in eine Holzschale, brachte sie Emma und wischte einen Löffel an ihrem Hemd sauber. »Du kannst doch gewiss selbst essen, oder? Du bist ja kein Baby mehr.«
»Natürlich kann ich selbst essen«, erwiderte Emma empört, die sich trotz des Tranks der alten Frau immer noch schwächer
fühlte als je zuvor in ihrem Leben. Sie nahm dem Mädchen Schale und Löffel aus der Hand. In dem gelblichen Eintopf schwammen Stücke von Fleisch, Gemüse und Kartoffeln. Er duftete himmlisch.
Das Mädchen setzte sich auf einen Schemel, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Emma an, bis diese aufgegessen hatte.
Emma wollte den unbeugsamen Blick des Mädchens erwidern, aber sie hatte einen Bärenhunger, und so begnügte sie sich damit, dem Mädchen zwischen zwei gierigen Bissen böse Blicke zuzuwerfen.
»Ich dachte, du wärst tot, als dich Gabriel letzte Nacht gebracht hat. Noch fünf Minuten, meinte Granny, und es wäre zu spät gewesen.«
»Ist sie deine Großmutter?«
»Nein. Alle hier nennen sie Granny. Granny Peet. Sie ist eine weise Frau. Kennt sich mit Magie aus. So hat sie dich geheilt. Und jetzt gehört ihr deine Seele.«
Emma erstarrte.
Das Mädchen schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Ich mache bloß Spaß. So ist sie nicht. Aber du hast’s geglaubt.«
»Habe ich nicht.« »Klar hast du. Du dachtest, Granny Peet hätte deine Seele in einen Krug oder so was Ähnliches gesperrt.«
Emma beschloss, dieses Mädchen nicht zu mögen und mit Missachtung zu strafen.
»Gabriel meinte, die Hexe hätte dich eingesperrt, aber du wärst entkommen. Stimmt das?«
Emma zuckte mit den
Weitere Kostenlose Bücher