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Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
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sein Bein. Und er wollte sie fragen: Wie heißt denn die Katze?

    Joel dachte daran, wie Emil eines Tages in diese Wohnung treten, an seinen Bildern vorbeigehen würde, die sie von ihm bekommen und, bis fast zu völliger Unkenntlichkeit vergrößert, im Flur aufgehängt haben würden, und mit jedem Schritt würde er sein Leben Revue passieren lassen, den Kindergarten, die Blumenbeete, das Riesenrad, all seine Erinnerungen, um dann ins leere Wohnzimmer zu treten. Ein dunkelgrüner Baum würde vor dem Fenster stehen neben dem hässlichen, neonbeleuchteten Brückenende, das durchs Fenster hereinscheinende Sonnenlicht würde zwei Rechtecke an die weiße Wand zeichnen, und die alte, riesige Nähmaschine würde dastehen wie ein stummer Zeuge. So sieht ein Zimmer aus, in dem niemand ist und das niemand betrachtet. Das Sonnenlicht würde er an den Wänden ruhen sehen, auf sein Bettchen würde er blicken, in dem er nie geschlafen hatte, denn schon im Krankenhaus hatte sich herausgestellt, dass sie ihn weggeben würden, und sie hatten ihn nie nach Hause gebracht, und das Bett blieb im Wohnzimmer stehen, ein, zwei Jahre, sieben Jahre, bis sie sagte, verbrenn’s, oder gib’s den Kindern für das Lagerfeuer am Lag ba’omer-Fest, und er sagte, ich werde es verbrennen, ich werde es den Kindern fürs Lagerfeuer geben, aber stattdessen brachte er es auf dem Dachboden unter, wo es fast vierzig Jahre lang ruhte und nur der Staub auf ihm seinen Nachmittagsschlaf hielt. Die Lichtvierecke würden verblassen, der Baum würde sich im Wind wiegen, Autobusse würden auf dem Weg hinauf zur Endhaltestelle geräuschvoll die Brücke überqueren, und Emil würde sich aufs Bett setzen, sich schließlich hinlegen und einschlafen. Aber es würde nicht sein.

    Joel bemerkte, dass im Nebenzimmer unter einem leeren Regal die schwarze Hülle einer Oud verkehrt herum dalag.

    Mit fünf Jahren hatte er dieses Bild gezeichnet und zu Joel gesagt: Das ist für ihn, und Joel tat so, als verstünde er nicht, wer
er
war, und reagierte nicht. Dann fragte er: Für wen, ihn?, und Emil sagte: Für ihn, den richtigen, und Joel verbiss sich die Kränkung und den aufsteigenden Zorn und sagte: Sehr schön, dass du auch ihn liebst, auch er ist dein Papa, keine Frage, und Emil sagte, Nein, nur er, nur er, er heißt Dani, und Joel sagte, Auch ich, auch ich, Emil, und Emil sagte, Du bist mir überhaupt nicht ähnlich, alle sagen das. Joel hatte die Hand ausgestreckt und die Zeichnung an sich gerissen, im Lauf der Jahre verblich und verschmutzte sie, bis sie zu einer, wie er es insgeheim nannte, ›Höhlenzeichnung‹ wurde, sie wirklich wegzuwerfen hatte er aber nicht übers Herz gebracht. Er legte die Zeichnung neben das Tablett mit den Keksen und dem Wasser, erhob sich brüsk und murmelte dabei: Das ist für Sie.

    Von der anderen Seite des Zimmers ertönte seine Stimme. Ob es gestattet sei, die Toilette zu benutzen. Mit dem Kinn wiesen sie nach hinten. Er stand auf und ging in den Flur. Wortlos blickten sie einander an. Der Flur war leer, als wären sie gerade erst eingezogen oder eben dabei auszuziehen, nachdem ihr Hab und Gut bereits verpackt und anderswo untergebracht war, und da steht man nun einige Minuten lang, betrachtet die Wohnung, die jeden Riss offenbart, jeden Schmutz, der, jahrelang hinter Schränken und Stühlen verborgen, sie bis in die Knochen angenagt hat. Joel öffnete eine Tür. Es war ihr Schlafzimmer. Er sah ein Eisenbett mit einer Matratze ohne Laken und einem dünnen, eingefallenen Kissen, das in einem mit drei Knöpfen verschlossenen Bezug steckte.
    Er konnte sich nicht mehr erinnern, was er ihnen gekauft hatte.
    Er wollte in den Hauptflur zurück, um zur Toilette zu gelangen, wo er jetzt dringend hin musste, dort aber, wo er die von dem Raum mit dem Stuhl und den Zeitungen wegführende Tür vermutete, war ein offener Schrank. Er stellte fest, dass der Schrank wie ein improvisiertes Hindernis neben einer Tür platziert war, wischte sich den Schweiß ab, betrat den Schrank, um ihn gleich wieder durch die Tür auf der anderen Seite zu verlassen, es war ein doppelseitiger Schrank, der auf einen als Abstellraum dienenden Balkon führte.
    Aus einem nahen, parallel gelegenen Flur riefen sie nach ihm.
    Vor vielen Jahren hatte er sich vor ihnen versteckt. Emil, Emil, hatten sie, zunächst im Scherz, nach ihm gerufen. Doch das Kind wollte nicht, dass man es finde. Oder wollte es vielleicht doch, zugleich aber auch lieber allein sein. Die ganze Wohnung

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