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Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
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fragte man auch sie nicht mehr. Sie wollten vergessen, und vergaßen. Einmal kamen Freunde zu Besuch, saßen ein Weilchen im Salon, knackten Kürbiskerne, tranken. Und fragten sie. Über seinem Kopf hing eine Lampe. Seine Frau gab die übliche Antwort. Sie wolle nicht, dass man mir ihr darüber spreche. Und im Allgemeinen hielten sie sich zurück. Aber diesmal blieben sie hartnäckig, stellten ihr Fragen. Und sie antwortete ihnen. Erzählte ihnen die Wahrheit. Danach sahen sie sie nicht wieder. Aber dieses eine Mal hatte sie gesprochen. Und während sie sprach, war in ihr jener Traum aufgestiegen, dass jemand sie in Stücke schneide. Wie einen Stoff. Und auch den erzählte sie ihnen. Die Worte brachen aus ihr hervor. Wie das Klappern einer großen Metallschere. Er saß da, hörte zu. Dann schaltete sie plötzlich die Lampe über seinem Kopf aus. Sie merkten nicht, dass das Licht ausgegangen war. Dann saß er einfach so da, im Halbdunkel, und wartete.

Joel
    Jeden Freitagnachmittag ließ sich Joel im Wohnzimmer auf dem Lehnstuhl nieder, um zu lesen. Nach wenigen Minuten schlief er meist ein, ohne das Buch überhaupt aufgeschlagen zu haben. Er hielt es in der Hand, normalerweise einen dicker Wälzer, den er über Jahre nicht durchzuackern vermocht hatte, von dem er vielleicht ein Dutzend Mal die ersten fünf Seiten gelesen hatte, ohne mitzubekommen, worum es überhaupt ging. Einmal fragte er: Emil, sag, diese ganze Literatur, wozu ist das überhaupt gut? Emil sah ihn an und sagte: Wozu das gut ist? Gute Frage. Vielleicht ist es schlecht. Wenn Joel aus dem Schlummer aufschreckte, lag der Roman, den er hatte lesen wollen, zugeschlagen da, seine Lider waren schwer, und die Freitagnachmittagsdämmerung erfüllte die Räume, und aus der Stille der Straße stiegen Vogelstimmen auf, ein trillerndes Piripipi gegen ein monotones Huhuhu. Mit geschlossenen Augen lauschte er ein Weilchen diesem Zwiegespräch, ›Zwiegespräch‹, dachte er, dann kamen andere Laute hinzu, fernes Autogeräusch, durch die Wand Gitarrenklänge, und er meinte, mit einiger Konzentration könne er alles hören, die Ameisen in ihren Städten unter dem Gebäude und bis tief ins Erdinnere hinein, und die Katzen, und die Aufzüge zu den Luxusdachwohnungen der Wolkenkratzer, und die Brücken, die still und hoch in den Lüften reisten. Auf dem Sofa ihm gegenüber schlief, in eine leichte Decke gehüllt, Emil, ein offenes Kinderbuch auf dem Bauch. Joel machte das Licht nicht an, um Emil nicht aufzuwecken, bemühte sich, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben und seinen Blick zu schärfen, denn aus seinem Nachmittagsschlaf erwachte er immer viel müder und schwerfälliger als vorher, und in dem spärlichen Licht, das von der Straße hereindrang, blickte er ihn lange an, wie er so schlief, und plötzlich erfüllte ihn eine Art Stolz auf die Zeit, die verstrichen war, Stolz darauf, dass, wenn die Welt jetzt gleich unterginge, die Jahre, die dieses Kind mit ihm lebte und er es nährte und kleidete und ihm half in all seinen Angelegenheiten und Fragen und für ihn Geld aufs Sparbuch legte, ach, immer landeten seine Gedanken beim Sparbuch, ach nein, an dieses Sparbuch dachte er wie an eine lästige alte Frau mit Filzhut, die immer im unpassenden Augenblick auftaucht, du schon wieder, Sparbuch, er ist doch dein Sohn. Er versuchte, die Alte, also das Sparbuch, zum Schweigen zu bringen, und sagte ihr, vielmehr zu sich selbst, du sprichst über ihn wie jemand, der einem Armen ein Almosen zuwirft, nicht doch, widersprach Joel der lästigen Stimme, du bist sein Vater. Und er warf einen Blick auf den Buchumschlag, stand auf, um auf die Toilette zu gehen, machte kehrt, um das Buch zu nehmen, auf der Toilette schlug er es auf, knipste das Licht an, das seine Augen mit plötzlicher Heftigkeit blendete, las, noch pinkelnd auf dem Klo sitzend, ein wenig auf dem Buchrücken, begann dann, im Buch selbst zu lesen, und plötzlich erfasste ihn Leselust, und er dachte, es geht doch nichts über Lesen auf dem Klo, das so eine Art Lesekammer ist, wo einen nichts stört oder ablenkt, er las die ersten Seiten eines der Bücher, dessen Namen er aufgeschnappt hatte, ein großer, besser gesagt voluminöser amerikanischer Roman, las mit Konzentration und begann ›hineinzukommen‹, zu begreifen, worum es da ging. Lesen ist etwas Grandioses, dachte er, die Leute wissen es nur nicht … er strich mit dem Finger über den Rand des halb offenen Buches und das Papier schnitt ihn in den Finger

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