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Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
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hatten sie nach ihm durchkämmt, ohne ihn zu finden, schwitzend die Türen geöffnet, hatten begonnen, laut nach ihm zu rufen, eine Nachbarin war heruntergekommen, um beim Suchen zu helfen, und ein Nachbar war mit einem Besen in der Hand herbeigeeilt, weil er meinte, wieder einmal sei eine Katze vom Hof eingedrungen. Doch sie konnten ihn nicht finden, er hatte sich ausgezeichnet versteckt. Ja, er wusste zu verschwinden. Habt ihr schon in den Küchenschränken gesucht? Sie waren zu den Schränken geeilt, hatten sich in einer Reihe aufgestellt und alle Türen aufgerissen. Aber auch dort war er nicht gewesen.
    Er kam ins Wohnzimmer zurück. Die Mutter mitsamt ihren Augen saß dort am selben Platz. Die kleine Zeichnung lag verkehrt herum auf dem Tisch. Die Kekse waren traurig und stumm. Der Tee war lau und bitter. Sie hatte keinen Zucker hineingetan, wie sie es auch für ihren Mann nie tat. Auf der Brücke fuhren ununterbrochen Autobusse vorbei.
    Sie wussten, dass jetzt Zeit für die große Aussprache war. Waren aber unfähig, ein Wort zu sagen. Waren wie erschöpft. Gelähmt. Als öffne man mittags ein Fenster, und draußen herrscht völlige Dunkelheit, man sieht sich um wie im Traum und bemerkt nicht die Kinder auf der Straße, die durch ein geschwärztes Glas in die vom Mond verdeckte Sonne blicken. Man versteht nicht, man weiß nicht, was man tun soll. Was man sagen soll.
    So saß er ihnen in ihrer Wohnung schweigend gegenüber, bis sie ihn baten, allein ein paar Worte miteinander wechseln zu können, ob er bitte im angrenzenden Zimmer einen Moment warten könne. Nebenan. Nur fünf Minuten.
    Er warf einen Blick auf das Geschenk. Sie hatten es nicht angerührt. Als wäre die Verpackung mit einem Mal gealtert, wirkte ihr Glanz erloschen. Oder aber es war das Licht, das sich verdüstert hatte.
    Er sagte, es sei schon gut, er gebe auf, er verstehe sie, seine Bitte sei völlig unsinnig, wie er da so ohne Vorwarnung hereingeplatzt sei, wenn nicht, dann eben nicht, er habe seltsamerweise gar keine Mail von ihnen erhalten, sie wirkten wie anständige Menschen, er wolle jetzt gehen, wie spät ist es, ich will schlafen gehen. Und er beschloss, zum Busbahnhof hinüberzugehen, sich dort für wenig Geld eine Teigtasche zu kaufen und ein kaltes Getränk, Fleisch zu essen nach dreißig Jahren strikten Vegetarier-Seins. Schawarma und Hamburger. Er würde Fleisch essen. Mit Fett bitte. Heute habe ich Lust auf Rippchen.
    Doch die Mutter legte die Hand auf die Zeichnung und sagte: Fünf Minuten? Mit gesenktem Kopf ging er hinaus. Dachte, wie er ins Nebenzimmer treten, dort einen Jungen finden, über ihn stolpern würde, einen Jungen dünn wie ein Vorleger, auf den er unabsichtlich treten würde, das Kind würde nicht reagieren, das ist doch Emil, was machst du hier, aber nein, es würde sich herausstellen, dass sie ein Jahr danach noch ein Kind bekommen hatten. Das Kind liegt auf Stroh, an die Wand gekettet.
    Er stand im Nebenraum, mit dem Gesicht zur Wand. Seine Nase berührte den Fensterrahmen. Seine Lippen berührten den Verputz. Es sah aus, als spräche er zur Wand. Die Worte sickerten in die Wand ein. Ja, er würde wiederkommen, ihr alle Kleider bringen, versprach er der Wand. Er würde kommen und ihr alle Kleider bringen, die er aufbewahrt hatte. In Tüten verpackt. Im Schrank. Das Kleid. Und den Hut. All ihre Handtücher. Die BHs.
    Die Eltern sahen ihm bereits einige Zeit schweigend zu.
    Die drei gingen hintereinander ins Wohnzimmer zurück, den Nacken gebeugt. Wie spät war es wohl?
    Sehen Sie, sagten sie ihm, wir haben beschlossen, es Ihnen zu erklären. Sonst wird er uns ja nicht in Ruhe lassen, dachten sie für sich. Sie gehören dazu. Sie haben große Mühe auf sich genommen. Und Ihre Frau! [ ] sagte: Einige Tage, bevor wir Sie zum ersten Mal am Meer trafen, saßen wir hier und sagten uns … Und der Vater warf ein: Wir werden ausquartiert. Ausquartiert, wiederholte Joel. Das Haus wird bald abgerissen, um den Busbahnhof zu erweitern und eine Haltestelle für eine Hochbahn hinzuzufügen. Wie in Chicago. Ingenieure aus Chicago waren bei uns. Haben aus demselben Glas wie Sie hier Wasser getrunken. Es soll noch ein Stockwerk mit Läden gebaut werden. Der Flächennutzungsplan ist schon genehmigt. Die Brücke da draußen wird Teil des Baus, bekommt Rolltreppen. Es gibt einen Flächennutzungsplan, wiederholte Emil verwundert. Wir haben Einspruch erhoben, der Einspruch wurde abgelehnt, sagte [ ]. Man wird uns ausquartieren, aber

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