Emilia - Herzbeben
einmal riss ihn etwas aus den Händen der Männer und schlug ihn mit brachialer Gewalt gegen eine Wand. Er stöhnte auf und fasste sich an den Hals. Irgendetwas hielt ihn mehrere Meter über dem Boden gegen die Wand gedrückt.
»Halt den Mund!«, schrie Angor mit erhobenem Arm. »Niemand will deine Lügen hören!«
Mia war bei dem Aufprall zusammengezuckt, als sei der Schmerz nicht nur durch seinen Körper gefahren, sondern auch durch ihren. Ihr lief eine Träne aus dem Augenwinkel, als sie einen Arm nach ihm ausstreckte. »Lass das«, hauchte sie. Sie konnte es nicht ertragen ihn leiden zu sehen. Auch wenn er sie angelogen und manipuliert hatte, wollte sie dennoch nicht, dass er litt. Es tat zu sehr weh! Er sollte ihn in Ruhe lassen! »Lass ihn los!« Ihre Stimme war nur ein Ächzen. Sie stützte sich mit einer Hand am Boden ab und versuchte aufzustehen. Doch ihre Arme und Beine zitterten vor Schmerzen. Sie atmete tief ein und schloss kurz die Augen. Vor ihr blitze eine Erinnerung auf. Der Moment im Wagen, als Ramon ihre Hand genommen und sich all ihr Schmerz aufgelöst hatte. Sie spürte erneut die Erleichterung und sie stellte sich vor, wie er es in diesem Moment noch einmal tat. Sie nahm in Gedanken seine Hand, umschloss sie und hielt sie ganz fest. Und sie fühlte, wie seine Berührung erneut das Feuer löschte und ihr den Schmerz nahm. Sie atmete auf, stellte sich hin und legte den Kopf in den Nacken. Ihr Seufzen zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Als sie dann den Kopf wieder senkte und die Augen öffnete, war alles anders. Der Raum war plötzlich so hell, als würden nicht nur ein paar Kerzenflammen ihn erleuchten, sondern ein Feuerinferno. Sie sah Staubpartikel durch die Halle fliegen, hörte das Kratzen von Rattenfüßen unten im Keller, das Tropfen von Wasserhähnen und sogar das Rauschen der Kerzenflammen. Sie bogen sich in ihre Richtung. Sie roch den entlegenen See, dieBäume vor dem Schloss, das Blut, das draußen vergossen wurde. Und sie hörte ihre Freunde. Sie waren draußen. Doch ihre Aufmerksamkeit wurde von Ramon gefesselt. Er ächzte unter dem Druck und schlug mit dem Ellenbogen immer wieder gegen die Wand, um sie zu durchbrechen und sich dadurch zu befreien. »Lass ihn los!«, rief Mia jetzt.
Angor ließ ihn tatsächlich fallen und wandte sich wütend um.
Mia wich vor ihm zurück. »Lass ihn gehen«, sagte sie jetzt vorsichtiger.
Er kam langsam auf sie zu. »Hast du vergessen, was er dir angetan hat? Was dir deine ganze Familie angetan hat?« Er schien über irgendetwas überrascht zu sein. Er musterte sie skeptisch und machte dabei ein etwas verwirrtes Gesicht. »Ich habe dir gesagt, dass du sie vergessen sollst. Sie tun dir nur weh.«
Jetzt war sie es, die ihn verwirrt ansah. Wann hatte er ihr gesagt, dass sie ihre Familie vergessen sollte? Daran konnte sie sich gar nicht erinnern. Sie wusste nur noch, dass er sie versucht hatte zu manipulieren. Es war ähnlich gewesen wie bei Ramon. Alles war in den Hintergrund getreten und verblasst. Nur, dass sie kein einziges seiner Worte gehört hatte, die er in diesem Moment an sie gerichtet hatte. Hatte seine Manipulation nicht funktioniert? Nach Angors Gesicht zu urteilen, schien er sich gerade dieselbe Frage zu stellen. Mia blickte Ramon an, der sich wieder aufgerappelt hatte. Kannst du mich hören? , fragte sie ihn in Gedanken. Doch er reagierte nicht. Sie war immer noch verschlossen. Wie konnte sie sich wieder öffnen? Wie konnte sie mit ihm reden, ohne dass es jeder mitbekam? Sie dachte daran, was Jona beim Training zu ihr gesagt hatte. Vielleicht würde das funktionieren. Sie sah ihn weiterhin an und versuchte sich in ihn hinein zu fühlen. Sie wollte fühlen, wie es für ihn war, sie zu hören. Als sie sich so intensiv sie konnte in diese Vorstellung hineinversetzt hatte, fragte sie erneut. Und jetzt nickte er unmerklich. Angor sagte irgendetwas zu ihr, doch sie hörte nicht zu. Als du dich mir vorgestellt hast , erinnerte sie Ramon in Gedanken, hast du mich da manipuliert, damit ich dich mag? Sie hatte so viele Fragen, doch das war die Einzige, die sie einfach nicht mehr losließ. Sie musste es wissen.
»Nein«, sagte er schwer atmend. »Niemals. Das würde ichniemals tun, Mia.«
Angor drehte sich perplex um.
»Er hat dir Lügen erzählt. Er wollte, dass du sein Blut trinkst, um dich zu seinem Eigentum zu machen. Glaub ihm kein Wort, Mia. Bitte!«
Jetzt deutete Angor mit einem Finger auf ihn und sagte: »Stopft ihm das Maul!«
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