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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Krankenhäusern so üblich, eine Absicherung gegen eventuelle Schadenersatzklagen. Emily fuhr mit dem Wagen zum Eingang und stieg aus, um zu helfen, doch Arlene war schon aufgestanden, kam auf sie zu und ging um die Motorhaube herum. Mit ihrem Kopftuch und der Jackie-O-Brille sah sie aus wie ein verblasster Star, der sich inkognito davonschleichen wollte. Der Arzt hatte die Wunde mit einer auffälligen weißen Bandage verbunden, die auf eine Gehirnoperation schließen ließ. «Ich kann fahren», sagte sie.
    «Mach dich nicht lächerlich», erwiderte Emily und versperrte ihr den Weg. «Du musst dich ausruhen.»
    «Ich hab’s satt, mich auszuruhen», sagte Arlene, begnügte sich aber mit dem Beifahrersitz.
    «Macht’s gut, ihr zwei», sagte Sue, die Krankenschwester. «Ich will euch Unruhestifter nicht noch mal hier sehen.»
    Beide bedankten sich, und dann fuhren sie in den Vormittagsverkehr hinaus. Auf der ganzen Liberty Avenue parkten Lastwagen in zweiter Reihe, wo sie vor den Restaurants entladen wurden. Emily fuhr, als hätte sie ihre Führerscheinprüfung.
    «Was stinkt denn hier so?», fragte Arlene naserümpfend. «Das riecht ja wie Weichspüler.»
    «Tut mir leid. Ich habe Kaffee verschüttet und dann Resolve benutzt.» Emily deutete in Richtung Boden unterhalb des Radios, und Arlene inspizierte die Fußmatte.
    «Man sieht’s nicht mal.»
    «Nein, es hat sehr gut gewirkt.»
    «Bis auf den Geruch», sagte Arlene.
    «Der geht bestimmt wieder weg.»
    «Hoffentlich.»
    «Du fühlst dich anscheinend besser.»
    «Ich hab mich eigentlich gar nicht so schlecht gefühlt», erwiderte Arlene. «Als sie meine Wunde genäht hatten, ging’s mir wieder gut. Es hat mich bloß mitgenommen, dass ich im Krankenhaus lag. Sie haben mich eine ganze Woche gepiesackt und haben immer noch keinen Schimmer. »
    «Sie waren bloß sorgfältig.»
    «Für Leute in unserem Alter ist ein Krankenhaus die Hölle.»
    «Ich weiß nicht, ob das stimmt», sagte Emily.
    «Erst mal ist die Ansteckungsgefahr größer.» Arlene ließ ihre Fensterscheibe ein Stück herunter. «Macht es dir viel aus, wenn ich rauche?»
    «Ich dachte, der Arzt hätte gesagt, du sollst aufhören.»
    «Tu ich ja. Er hat mir ein Nikotinpflaster aufgeklebt.» Sie zog den Ärmel ihrer Jacke hoch, um Emily das fleischfarbene Quadrat zu zeigen, und zündete sich dann eine Zigarette an. «Wenn es wirkt, dann bestimmt nicht von heute auf morgen. Das weiß er auch.»
    «Aber du willst es versuchen?»
    «Ja», sagte Arlene.
    «Das ist sehr tapfer von dir.»
    «Ich befürchte, das wird für alle Beteiligten unangenehm.»
    «Aber es lohnt sich.»
    «Das sagst du jetzt. Wart’s mal ab.»
    «Wenn ich dir irgendwie helfen kann.»
    «Danke», sagte Arlene. «Um eins würde ich dich gern bitten, wenn das möglich ist.»
    «Alles, was du willst.»
    «Bitte, sei nicht zu enttäuscht, wenn ich’s nicht schaffe.»
    «Versprochen», sagte Emily, obwohl sie das für die falsche Einstellung hielt.
    Sie fuhren die Fifth Avenue entlang, an den zerfallenden Raubrittervillen, dem rußbedeckten Turm der Presbyterian Church, den Nachkriegswohnblocks aus rotem Backstein und den kahlen Bäumen im Mellon Park vorbei nach Point Breeze. Die Krankenhausapotheke hatte Arlene mit Medikamenten versorgt, und am Wochenende hatte Emily Arlenes Kühlschrank aufgefüllt, daher mussten sie nichts mehr besorgen. Emily bot es ihr trotzdem an.
    «Ich glaube, ich brauche nichts, danke», sagte Arlene. «Ich wollte dir längst sagen, wie beeindruckt ich bin, dass du wieder fährst - und ziemlich gut, muss ich gestehen. Das finde ich tapfer.»
    «Es kam mir sinnvoller vor, als jedes Mal, wenn ich irgendwo hinmuss, das Taxi zu bezahlen.»
    «Wirklich lieb von dir, dass du dich um alles gekümmert hast.»
    «Du hättest doch genauso gehandelt.»
    «Trotzdem vielen Dank. Das war bestimmt nicht leicht.»
    «Du weißt doch, was morgen ist?», fragte Emily.
    «Dienstag.»
    «Was hältst du davon, frühstücken zu gehen? Rhonda und Sandy würden sich bestimmt freuen, dich zu sehen.»
    Emily wusste, dass es ein Risiko war. Sie befürchtete, es könnte zu früh sein, oder Arlene könnte Probleme haben, zum Ort des Geschehens zurückzukehren. Sie wollte sie nicht drängen.
    «Unter einer Bedingung», sagte Arlene. «Ich fahre.»
    «Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber achte darauf, dass du etwas isst, bevor du losfährst.»
    Und so kehrten sie zu ihrem alten Programm zurück, als wäre nichts passiert.
    Sie hielt vor Arlenes

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