Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
Kälte vor der Brust verschränkt, auf die hintere Veranda und sog die Stille in sich auf. Es war seltsam, wie die Natur auf der Welt wieder Ordnung herstellte und es einem erleichterte, an die Gnade Gottes zu glauben. Plötzlich begriff sie, warum die Menschen die Jahreszeiten früher kultisch verehrt hatten.
    Vorm Haus lärmte eine Schneefräse, die sie unsanft aus ihren Gedanken riss. Es war Jim Cole, der als Erstes ihren Weg vom Schnee befreite. Sie winkte ihm vom Erkerfenster aus zu und notierte sich, am nächsten Tag ein paar Kekse für die beiden beiseitezulegen. Im Dunkeln sah sie, wie überall in der Straße über den gemähten Rasenflächen und gestutzten Hecken die Weihnachtsbeleuchtung funkelte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es ringsum schon einmal so schön gewesen war, und betrachtete das Ganze als Aufforderung. Sie zog ihre Stiefel an und wedelte mit der Leine, um Rufus auf Trab zu bringen.
    Als sie in Strickmütze und Schal vor die Tür trat, fühlte sie sich furchtlos. Jim hatte den Weg frei gefräst, aber vor manchen Häusern war alles noch unberührt. Sie beschloss, die Sheridan Avenue hinaufzugehen, bis sie wieder flacher wurde. Als Rufus an der Ecke die Hecken wässerte, ging über ihnen die Straßenlaterne an und leuchtete erst silbern und dann in mattrötlichem Orange. Der Schnee fiel inzwischen senkrecht und sanft herab. In der Grafton Street war er noch nicht geräumt, sondern lag fest und glatt auf der Straße, und sie erinnerte sich daran, wie Henry und Cal Miller vor vierzig Jahren - konnte das wirklich sein? - an so einem Abend mit den Kindern Schlitten gefahren waren. Nein, es musste noch länger her sein, denn es war der Abend gewesen, an dem Daniel Pickering mit seiner brandneuen fliegenden Untertasse hinten in den Lincoln der Alfords krachte und seine Schneidezähne einbüßte. Sie hatten auf Timothy und Rachel aufgepasst, Kakao gemacht und Monopoly gespielt, während Louise und Doug Daniel in die Notaufnahme brachten.
    Wenn sie nicht achtgab, würde auch sie dort landen. In der Sheridan Avenue hatte niemand Schnee geschaufelt, aber irgendwer hatte sich die Zeit genommen, einen großen Schneemann zu bauen, komplett mit Steelers-Trod-delmütze und Skihandschuhen. Emily blieb davor stehen, um das Werk zu bewundern, während Rufus daran herumschnupperte. Auf der anderen Straßenseite leuchtete neben einer Kutschenlampe ein riesiger aufblasbarer Weihnachtsmann. Emily fand das eher bezeichnend als geschmacklos, ein im Laden erstandenes Vergnügen. Ein weiterer Trend, den sie nicht verstand, waren die künstlichen Eiszapfen, die man an die Dachrinne hängte. Als alte Schrulle bevorzugte sie etwas Klassisches: weiße oder mehrfarbige Lichterketten, einen frisch geschnittenen Kiefernkranz an der Haustür, aber nicht am Garagentor. Und dennoch war sie, als sie mit Rufus durch diesen elektrischen Jahrmarkt schlenderte und an stetig leuchtenden oder blinkenden Lichtern vorbeikam - bei einer Lichterkette schlängelte sich das Licht und tanzte sogar wie die Umrandung der Leuchtreklame eines Kinos -, für die alberne Überschwänglichkeit des Weihnachtsschmucks ihrer Nachbarn dankbar. Für draußen, zum Beispiel den Rasen, war Henry zuständig gewesen, und auch wenn Jim ihre alte Außenbeleuchtung mit Freuden aufgehängt hätte, hatte Emily diese Lichter nie besonders gemocht und es sich zur Gewohnheit gemacht, nur einen schlichten Kranz von der Gehörlosenschule aufzuhängen, den sie mit ihrer eigenen Schleife schmückte. In diesem Jahr hatte sie nicht einmal das erledigt und Margaret als Vorwand benutzt, obwohl sie doch bloß nach Willkinsburg fahren musste.
    Sie beschloss, es am nächsten Tag nachzuholen. Im Augenblick war der Olds nutzlos, doch morgen würden die Straßen frei sein. Sie könnte bei Arlene vorbeifahren und sie mit einem Kranz überraschen - ihr vielleicht ein paar Zweige für den Kaminsims mitbringen, ja, und ein paar für die Krippe ihrer Mutter. Am Ende der Sheridan Avenue hatte Emily ihren Plan für den nächsten Morgen fertig.
    Als sie wieder zur Grafton Street hinunterkam, musste sie kleine Trippelschritte machen, die Hand zur Wahrung des Gleichgewichts ausgestreckt, als könnte sie ausrutschen und müsste sich an der Hecke festhalten. Da Rufus wusste, dass er einen Hundekuchen bekommen würde, zerrte er an der Leine. Sie machte ihn los, und er sprang davon und tollte durch den Garten.
    Jim war so nett gewesen, auf dem Weg Salz zu streuen. Der Olds war noch immer mit

Weitere Kostenlose Bücher