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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Vergnügen, das zu dem kultivierten Leben gehörte, das sie sich immer erhofft hatte. Sie begriff, dass Margaret an einer Krankheit litt. Aber sie verstand nicht, wie es dazu gekommen war.
    Sie schraubte den Deckel ab, führte die Flasche unter ihrer Nase entlang, sog den Geruch von altem Rauch ein, und obwohl sie wusste, dass sie es nicht tun sollte, setzte sie den Flachmann an die Lippen. Der Scotch schmeckte moderig und nach Pfeffer, mit einem Hauch von Jod. Sie behielt den Schluck im Mund, ließ ihn einen Augenblick auf der Zunge zergehen, bevor sie ihn hinunterschluckte, und verfolgte dann seinen Weg von der Kehle zum Magen. Die Wärme stieg aus ihrem Innern direkt ins Gesicht, und sie errötete wie am Beginn einer Hitzewallung. Nur mal kosten, mehr wollte sie nicht. Sie schraubte den Deckel wieder auf den Flaschenhals, stellte den Flachmann in den Karton zurück und klappte diesen zu. Nach kurzer Suche breitete sie eine Abdeckplane über den Stapel und stellte eine Wanne mit einem Farbroller obendrauf - immer noch zu auffällig, doch das Beste, was ihr einfiel. Reichte das aus? Wahrscheinlich nicht, aber wenn Margaret unbedingt Alkohol trinken wollte, musste sie wenigstens danach suchen.
    Anschließend tat ihr der Rücken weh, und sie musste sich mit einem Heizkissen hinlegen. Sie verstaute die Brille auf dem Nachttisch, legte den Arm über die Augen und döste, wie erwartet, ein. Als sie aufwachte, war es dunkel, und sie schwitzte. Im Radio lief irgendein abscheuliches Rachmaninow-Stück, also hatte auf QED schon das Abendprogramm begonnen. Sie schwang die Beine auf den Boden und setzte sich einen Augenblick auf die Bettkante, rieb sich das Gesicht und dachte lachend: Was man nicht alles für seine Kinder tut.
     
    Der arbeitsreichste Tag des Jahres
     
    Emily hatte gerade die Lasagne geschichtet, als Margaret anrief. Sie benutzte ihr Handy, die Stimme vom Rauschen verzerrt und entstellt, immer wieder unterbrochen und plötzlich ganz weg, als hätte man sie entführt. «Hallo?», sagte Emily. «Hallo!»
    Kurz darauf meldete sich Margaret noch mal. Der Empfang war jetzt besser, doch sie erklärte das Ganze nicht.
    Sie würden sich verspäten. Wegen des Sturms, der die Ostküste heraufzog, durften keine Flugzeuge starten. Sarahs Flug aus Chicago hatte ebenfalls Verspätung. Die Airline gab ihnen kaum Informationen, doch in Charlotte standen die Maschinen immer noch auf dem Boden.
    Wie um Margaret Lügen zu strafen, war der Himmel draußen strahlend blau.
    «Wie ist das Wetter bei euch?», fragte Emily.
    «Hier? Gut. Wenn es ein Direktflug wäre, gäb’s keine Probleme. Es liegt an dieser blöden Heimbasis-Regelung - wer sich das ausgedacht hat, ist ein Genie. Ich befürchte, dass wir unseren Anschlussflug verpassen und dort übernachten müssen, was bei meiner Begeisterung für den Flughafen von Charlotte kein Vergnügen wäre. An diesem Wochenende ist unheimlich viel los, und wenn wir erst morgen losfliegen, kommen wir vielleicht gar nicht mehr hin, also bleibt uns nichts anderes übrig.»
    «Ich rühre mich nicht vom Fleck, bis ich von euch höre.»
    «Das könnte eine Weile dauern.»
    «Ich bleibe, wo ich bin», sagte Emily.
    «Genau wie wir», erwiderte Margaret.
    Emily rief Arlene an, um ihr Bescheid zu geben. Sie wollte um zwei vorbeikommen, damit sie Margaret an der Gepäckausgabe abholen konnten.
    «Wie kommt sie klar?»
    «Wie zu erwarten.»
    «Ach du meine Güte.»
    «Ja», sagte Emily, «ach du meine Güte.»
    «Und was wird aus unserer Planung fürs Abendessen?»
    «Alles erst mal auf Eis gelegt.»
    «Dann sollte ich mit meinem Knoblauchbrot wahrscheinlich noch warten.»
    «Wäre wohl klüger», sagte Emily.
    Die Abflugzeit kam und verstrich, und dennoch wartete Emily wie versprochen und widerstand dem Drang, die Nummer von Margarets Handy zu wählen. Die Met übertrug Prokofiews Krieg und Frieden, eine seltene Darbietung, doch sie konnte es nicht genießen. Eigentlich hätten sie nachmittags ankommen sollen. Dann hätten sie sich häuslich einrichten können, während Emily die Lasagne im Backofen hatte. Die Fahrt zum Flughafen dauerte fünfzig Minuten, dann brauchten sie noch zwanzig Minuten, um zu parken und aufs Gepäck zu warten. Während Napoleon tief nach Russland vordrang, schob sie das Abendessen immer weiter hinaus. In feinen Kreisen speist man spät zu Abend, hatte Henrys Mutter gern gesagt, doch später als acht Uhr war unsinnig.
    Sie dachte immer wieder, dass sie dieses Problem jetzt

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