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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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nicht hätten, wenn sich Margaret, Emilys ursprünglichem Vorschlag gemäß, gestern einen halben Tag freigenommen hätte. Dann hatte sie also keinen Urlaub mehr übrig. Was war mit Krankheit oder persönlichen Gründen? Konnte sie nicht mit ihrem Chef reden? Margaret hatte so getan, als sei das eine unerfüllbare Bitte, als verstünde Emily ihre Lage nicht. Emily war versucht gewesen zu sagen, es sei vielleicht ihre letzte gemeinsame Weihnachtsfeier, hatte aber darauf verzichtet, weil sie wusste, dass Margaret das - gerechtfertigterweise - als Erpressung betrachten würde, und so waren sie letztlich beide frustriert gewesen.
    Niemand war schuld, nur das Wetter und das idiotische System der Airlines, das sie auch nicht vor dem Bankrott und der alle paar Jahre erhobenen Forderung einer staatlichen Rettungsaktion bewahrt hatte. Emily war klar, dass sie sich nicht darüber aufregen durfte, doch sie hatte sich schon so lange auf diesen Besuch gefreut. Am Telefon hatte Margaret gestresst und gereizt geklungen, und wider ihr besseres Wissen hatte Emily es persönlich genommen. Sie hatten beide bloß einen schlechten Tag.
    Rufus half ihr gerade, Schüsseln mit roten und grünen M&Ms aufzustellen, als Margaret sich meldete.
    «Unser Flug ist jetzt für zwanzig nach zwei angesetzt, dann wären wir gegen Viertel nach vier in Charlotte. Wir verpassen den Anschlussflug, aber sie sagen, wir können die Fünf-Uhr-Maschine erreichen, wenn also nichts dazwischenkommt, sollten wir gegen halb sieben da sein.»
    «Klingt nicht schlecht.» Dann konnte Emily die Lasagne schon vorher garen und später aufwärmen. Sie brauchten bloß noch Arlenes Knoblauchbrot aufzubacken und den Salat zu machen.
    «Mal sehen, ob’s tatsächlich klappt», sagte Margaret.
    «Bleib am Ball.»
    Arlene verfolgte den Sturm auf dem Wetterkanal und hielt es für unwahrscheinlich. In Charlotte gab es vierstündige Verspätungen.
    Emily wünschte sich, Arlene wäre optimistischer. «Wenn wir nichts anderes hören, fahren wir einfach um halb sechs los. Ich stelle die Lasagne jedenfalls schon mal in den Backofen. »
    Das Vorheizen des Backofens dauerte länger, als sie gedacht hatte, doch vielleicht lag das auch an ihrer Ungeduld. Heute ging alles langsam. Sie hatte sich bereits für den Flughafen zurechtgemacht und band sich zum Schutz ihrer Kleidung die Schürze um. Die Auflaufform, die im Kühlschrank gestanden hatte, war kalt und schwer, und Emily hätte sie nicht nur fast fallen lassen, sondern stieß damit auch gegen den Rost. Sie stellte die Zeituhr ein und ging wieder ins Wohnzimmer, wo die Franzosen bereits auf dem Rückzug waren. Das Haus war fertig, alle Zimmer aufgeräumt, als wollte sie es der Öffentlichkeit vorführen. Sie hatte Henrys Sessel zur Seite gerückt, damit sie den Baum vors Fenster stellen konnten. Im Esszimmer war der Tisch gedeckt, komplett mit Stechpalmenzweigen als Schmuck und brandneuen Kerzen. Die schlichte Krippe ihrer Mutter stand auf der Anrichte, Josef und Maria knieten neben der leicht beschädigten Figur des Jesuskinds, das bescheiden unter seiner Decke aus braunem Cordsamt lag. Im Keller standen ein Dutzend mickrige Schachteln mit altem Weihnachtsschmuck und Lichterketten auf Henrys Werkbank. Jetzt konnte sie nur noch warten.
    Die Lasagne war schon ungefähr eine halbe Stunde im Backofen, als Margaret wieder anrief. Sarahs Maschine sei in Chicago gelandet, doch ihr Flug habe sich um eine weitere Dreiviertelstunde verschoben, somit komme der Flug um halb sechs nicht mehr in Frage. Die nächste Maschine nach Pittsburgh starte um zehn nach sechs, doch die sei überbucht, und ein Standby-Ticket könnten sie erst bekommen, wenn sie alle in Charlotte seien. Sie habe überlegt, ob sie versuchen solle, eine andere Airline zu nehmen, habe aber das Gepäck bereits aufgegeben.
    «Das Ganze sollte wirklich nicht so anstrengend sein. Ich denke ernsthaft daran, umzukehren und nach Hause zu fahren.»
    «Tu das nicht», sagte Emily.
    «Ich weiß, wir müssen sowieso alles bezahlen, aber im Moment hab ich dermaßen die Nase voll, dass ich am liebsten wieder gehen würde. Mich kotzt es an, dass sich keiner um irgendwas kümmert. Hier übernimmt niemand Verantwortung. Anscheinend haben sie die Einstellung, das wäre nicht ihr Problem. Und dann wundern sie sich, dass alle stocksauer sind.»
    «Wie geht’s Justin?»
    «Er hat meine Meckerei satt und sieht sich auf seinem Laptop einen Film an. Er ist genau wie Dad - blendet einfach alles

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