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Emily, allein

Emily, allein

Titel: Emily, allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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mit Jocelyn, als sie im ersten Jahr nach dem College gekellnert hatte, um die Miete bezahlen zu können. Emily stellte sich vor, sie wäre wieder jung und ungebunden und die ganze Stadt stünde ihr offen - Grant Park und das Art Institute, die morgendliche Fahrt mit der El zur Arbeit. Sie war seit fast vierzig Jahren nicht mehr in Chicago gewesen, doch das machte die Vorstellung bloß noch romantischer. Margaret sagte, es gebe da einen Jungen. Emily wollte jede Einzelheit wissen.
    Auch Margaret hatte einen neuen Verehrer - sie bezeichnete ihn als Freund, als sei ihre Verbindung eher beiläufig und vernunftgesteuert als leidenschaftlich. Bei ihrem Aussehen würde es ihr nie an Bewunderern mangeln, solange sie auf ihr Gewicht achtete. Emily konnte sich niemanden vorstellen, der so mutig und geduldig war, sich all ihre Probleme aufzubürden, doch sie wusste, dass manche Männer die Vorstellung reizvoll fanden, Margaret zu retten.
    Von Justin hatte sie kaum etwas gehört, außer dass er im Hauptfach Astrophysik studierte und stets glatte Einsen bekam. Wie die meisten Jungen in seinem Alter kam er Emily noch unfertig vor. Er war ein ängstliches Kind gewesen, intelligent, aber still, seltsam distanziert, immer beobachtend, und sie fragte sich, ob er in seinen neuen Lebensumständen vielleicht zu sich selbst finden würde. Wie Henry dachte er wissenschaftlich. Henry hatte leise gesprochen und manchmal den Eindruck erweckt, als sei er leicht zu beeinflussen, doch in Fragen, die ihm wichtig erschienen, war er unnachgiebig geblieben, und sein Schweigen war im Grunde das letzte Wort gewesen. Hoffentlich besaß Justin dieselbe innere Stärke.
    Inzwischen war es Emilys einziger Wunsch, ihnen näher zu sein. Es war anstrengend, ihr Leben aus der Ferne zu verfolgen, Karten, Briefe und Geschenke zu schicken, Woche für Woche anzurufen und im Gegenzug bloß die spärlichsten Neuigkeiten zu erfahren, die ihr nur widerwillig mitgeteilt wurden und stark zensiert waren. Seit Jeff die Familie verlassen hatte, stand ihr Leben auf der Kippe. Emily sorgte sich um jeden Einzelnen von ihnen und um die Familie als Ganzes, besonders um Sarah und Justin, darum, was aus ihnen mal werden würde, und fand es ungerecht, dass sie es vermutlich nicht mehr miterleben würde. Sie hatte ihre eigenen Kinder aufwachsen sehen, vielleicht war das genug - als dürfe man nur ein gewisses Quäntchen vom Leben sehen, als sei die Zukunft, wie die Vergangenheit, notwendigerweise verborgen und rätselhaft.
    Eine Gruppe von Rücklichtern bog ab, und das Schild ihrer Ausfahrt glitt aus der Nacht hervor. «Du hast US Air gesagt?»
    «Ja», sagte Emily, aber es spielte keine Rolle, wohin sie fuhren.
    Sie parkten im Kurzzeitparkhaus und gingen in der Kälte durch die hallende untere Ebene. Die Abholzone am Bordstein hinter der Haltestelle für die Shuttlebusse war das reinste Irrenhaus, Taxis, Kleinbusse und Limousinen rangelten um die Plätze, Autos waren mit aufgeklapptem Kofferraum in der zweiten Reihe geparkt und keilten andere Wagen ein, während ein einzelner Staatspolizist seine Pfeife blies, auf Fahrer deutete, die eine Parklücke suchten, und sie durchwinkte. Reisende mit Gepäck säumten den Gehsteig und suchten nach dem Fahrzeug, das sie abholen sollte. Als sie und Arlene die Straße überquerten, mussten die Autos halten, sodass sich alles noch mehr verkeilte, und Emily fragte sich, welcher Schwachkopf sich bloß dieses System ausgedacht hatte.
    Im Innern des Gebäudes liefen die Neuankömmlinge wie eingepferchtes Vieh um das Gepäckkarussell herum. Schon beim Anblick der vielen Menschen wäre sie am liebsten wieder umgekehrt. Sie schaute auf einem Bildschirm nach, konnte den Flug aber nirgends entdecken.
    «Sind wir zu früh?», fragte Arlene.
    «Vielleicht habe ich die falsche Nummer.» Denn es gab drei Flüge aus Charlotte.
    Die Nummer, die sie hatte, war richtig. Der großen Anzeigetafel zufolge hatte die Maschine Verspätung. Sie würde voraussichtlich erst um elf landen.
    «Warum hat sie mich denn nicht angerufen?»
    «Vielleicht saßen sie schon im Flugzeug», mutmaßte Arlene, doch in jenem Augenblick hätte keine Erklärung Emily trösten können.
    Oben waren die meisten Ticketverkäufer von US Air durch Automaten ersetzt worden, und die wenigen, die noch übrig waren, taten so, als würde Emily sie belästigen. «Tut mir leid, Ma’am, wir haben hier auch keine anderen Informationen.» Und wozu dienten die Computer? Sie erinnerte sich an Margarets

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