Emily, allein
blühten. Emily hatte schon zweimal versucht, sie nach draußen umzusetzen, doch dazu waren sie nicht robust genug. Auch dieser Weihnachtsstern würde ein paar Wochen lang vorn im Fenster seine Pracht entfalten, dann noch eine Weile in Kenneths Zimmer stehen und langsam die Blätter verlieren, bis sich die Stiele allmählich in trockene Zweige verwandelten und sie ihn schließlich mitsamt Topf in den Müll werfen würde. Im Lauf der Jahre hatte sie mit Lisa schon mehrmals über die Verschwendung gesprochen, nicht um sich zu beklagen - sie war weder undankbar, noch wollte sie unfreundlich sein -, sondern um sie von etwas Praktischerem, Erschwinglicherem zu überzeugen, aber jedes Jahr bekam sie zu Weihnachten wieder einen perfekten Weihnachtsstern.
Sie schob ihre Geranien und Usambaraveilchen beiseite, um Platz zu schaffen. In der Sonne leuchteten die Blätter noch intensiver.
«Wow», sagte Betty. «Der ist aber schön.»
«Nicht wahr?», erwiderte Emily.
Weihnachtsstimmung
Bevor Margaret kam, musste Emily überlegen, was sie mit dem Alkohol anstellen sollte. Aus Respekt vor Margarets Abstinenz war Emilys erster Gedanke, die Flaschen im Keller zu verstauen - nicht weggeschlossen, sondern in einen Karton verpackt -, aber vielleicht würde Margaret die leere Hausbar als Kränkung empfinden. Sollte sie nicht lieber so tun, als wäre alles in Ordnung? Das hatte sie letztes Mal ausprobiert. Wer andere einmal täuscht, doch Margaret hatte schon seit Jahren niemanden mehr getäuscht, nicht mal sich selbst. Emily fühlte sich hilflos. Margaret konnte in beiden Fällen etwas auszusetzen haben, deshalb entschied sie sich nach langem Ringen dafür, ihrer ersten Eingebung zu folgen.
Erst als sie zwei schwere Kartons vollgepackt und in den Keller geschleppt hatte, ohne eine merkliche Lücke geschaffen zu haben, war ihr klargeworden, wie viel Alkohol sie im Haus hatte - nicht bloß Henrys Scotch-Sammlung und die bei Mitgliedern der Episkopalkirche üblichen scharfen Sachen, sondern auch Brandy, Portwein, Sherry und verschiedene Liköre, die sich im Lauf der Jahre angesammelt hatten, vieles davon Geschenke, manches, wie die kegelförmige Flasche Poire William und der dunkle Rum, den Kenneth und Lisa ihnen von einer Karibikreise mitgebracht hatten, noch unangetastet. Das unterste Fach war wie ihr Keller, vollgepackt mit längst vergessenen Sachen. Dort standen zwei offene Flaschen Drambuie und zwei Flaschen ihres Lieblings-Grand-Marniers, die noch aus der Zeit stammten, als sie oft Gäste gehabt hatten. Cointreau, Armagnac, Amaretto, B&B, Calvados, Courvoisier, Remy Martin.
Margaret hatte sich zwar vor kurzem dafür entschuldigt, andere Menschen für ihre persönlichen Entscheidungen verantwortlich zu machen, doch früher hatte sie oft behauptet, angesichts ihrer Vorbilder sei es kein Wunder, dass sie trinke. Emily hatte sich diesen Vorwurf nie zu Herzen genommen, da sie weder sich noch Henry als Trinker betrachtete. Ja, als sie noch jünger waren, hatten sie in Gesellschaft getrunken, doch wenn sich Emily ihre Partys ins Gedächtnis rief, erinnerte sie sich bloß an die flackernden Fackeln hinten im Garten und Henry am Grill, an Spieltische, vollgestellt mit gebackenen Bohnen, Kartoffelsalat, Wassermelonenscheiben und Brownies, die ganze Nachbarschaft - Kinder und Erwachsene - versammelt, um sich zu amüsieren. Es wurde Krocket und Hufeisenwerfen gespielt, und die Jungen organisierten auf dem Hof ein Wiffleballspiel und ernannten Henry zum Pitcher. Kay Miller verlor vielleicht irgendwann die Kontrolle und kippte mit ihrem Gartenstuhl um, oder Gene Alford fing an zu singen, sodass Ginny ihm den Mund zuhalten musste, doch da waren die Kinder längst im Bett. Möglicherweise hatte Margaret, die Nase ans Fliegengitter gedrückt, das Ganze von ihrem Fenster aus beobachtet, doch sie hatte mit Sicherheit kein wüstes Bacchanal zu Gesicht bekommen, sondern bloß einen Kreis von Freunden, die sich Geschichten erzählten und lachten, die froh waren, am Ende des Tages in so angenehmer Gesellschaft zu sein. Erst als Margaret schon älter war, gab es Probleme, weil ein paar Jugendliche Bier aus den Kühlboxen stahlen und Kenneth zu Emilys ewiger Schande bei ihrem unnachgiebigen Verhör gestand, dass Margaret zu den Übeltätern gehörte.
Emily hatte sie nicht glimpflich davonkommen lassen, obwohl Mädchen in ihrem Alter in den späten sechziger Jahren viel schlimmere Dinge angestellt hatten. Niemand konnte behaupten, Emily habe
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