Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
da wurde unsere Unterhaltung durch ein polterndes Geräusch unterbrochen, das, von der Straße herkommend, im Hof endete. Er lief ans Fenster, und ich kam gerade zur rechten Zeit zur Tür, dass ich sehen konnte, wie die beiden Lintons, in Mäntel und Pelze gehüllt, aus der Familienkalesche kletterten und die Earnshaws von ihren Pferden stiegen (im Winter pflegten sie oft zur Kirche zu reiten). Catherine fasste die Kinder bei der Hand, geleitete sie ins Haus und ans Feuer, das ihre weissen Gesichter bald rosig färbte.
Ich drängte meinen Gefährten, jetzt hinzueilen und sich von seiner liebenswürdigen Seite zu zeigen. Er gehorchte bereitwillig; aber das Unglück wollte es, dass Hindley von der anderen Seite hereintrat, als Heathcliff die Tür zur Küche öffnete. Sie trafen zusammen, und der Herr, ärgerlich, ihn sauber und fröhlich zu sehen, oder vielleicht, um sein Mrs. Linton gegebenes Versprechen zu halten, drängte ihn mit einem derben Stoß zurück und befahl Joseph:
»Lass den Burschen nicht ins Zimmer; schick ihn in die Bodenkammer, bis das Mittagessen vorüber ist! Er wird seine Finger in die Torten stecken und das Obst stehlen, wenn er eine Minute damit allein gelassen wird.«
»Nein, Herr« — ich konnte die Antwort nicht unterdrücken —, »der fasst nichts an, ganz gewiss nicht, und ich meine, er sollte geradesogut sein Teil an den Leckereien haben wie wir.«
»Er wird sein Teil von meiner Hand abbekommen, wenn ich ihn vor Dunkelwerden noch einmal unten antreffe!« schrie Hindley. »Fort, du Landstreicher! Was, willst du hier den Stutzer spielen, he? Warte, ich werde dich an deinen eleganten Locken zupfen, mal sehen, ob ich sie nicht etwas länger ziehen kann!«
»Sie sind schon lang genug«, bemerkte Master Linton, verstohlen durch die Tür blickend. »Ich wundere mich, dass sie ihm keine Kopfschmerzen verursachen. Sie fallen wie eine Ponymähne über seine Augen!«
Er machte diese Bemerkung ohne kränkende Absicht, aber Heathcliff mit seiner Veranlagung zum Jähzorn war nicht geneigt, auch nur den Schein von Frechheit von einem zu erdulden, den er gerade in diesem Augenblick als Nebenbuhler hasste. Er ergriff eine Terrine mit heisser Apfeltunke das erste beste, was er zu fassen kriegte — und warf sie dem Sprecher ins Gesicht. Der fing augenblicklich an zu jammern, so dass Isabella und Catherine herbeigeeilt kamen. Mr. Earnshaw fasste den Übeltäter sofort und führte ihn in sein Zimmer, wo er zweifellos ein nachdrückliches Mittel anwandte, um den Wutanfall zu ersticken; denn er kehrte mit gerötetem Gesicht und atemlos wieder. Ich nahm das Geschirrtuch und rieb voller Groll Edgars Nase und Mund ab und sagte, ihm sei ganz recht geschehen, weil er sich eingemischt habe. Seine Schwester fing an zu weinen, sie wollte nach Hause, und Cathy stand bestürzt dabei und errötete für die anderen. »Du hättest nicht mit ihm sprechen sollen«, warf sie dem jungen Linton vor. »Er hatte schlechte Laune, und nun hast du mir die Freude an eurem Besuch verdorben, und er wird Prügel kriegen. Ich kann das nicht ertragen, dass er verprügelt wird. Ich kann zu Mittag nichts essen. Warum hast du mit ihm gesprochen, Edgar?«
»Ich habe es ja gar nicht getan«, schluchzte der Junge, entwand sich meinen Händen und säuberte sich weiter mit seinem Batisttaschentuch. »Ich habe Mama versprochen, kein Wort mit ihm zu reden, und ich habe es auch nicht getan.«
»Nun, dann heule nicht!« entgegnete Catherine verächtlich. »Du lebst ja noch. Mach jetzt keine Dummheiten; mein Bruder kommt, sei ruhig! Hör auf, Isabella! Hat dir jemand weh getan?«
»Also los, Kinder, auf die Plätze!« rief Hindley, der geräuschvoll hereinkam. »Dieses Scheusal von Junge hat mir gehörig warm gemacht. Das nächste Mal, Master Edgar, hol dir dein Recht mit deinen eigenen Fäusten; das wird dir Hunger machen.«
Die kleine Gesellschaft gewann beim Anblick des duftenden Mahles ihren Gleichmut wieder. Sie waren hungrig nach dem Ritt und trösteten sich schnell, da ihnen tatsächlich ja auch nichts zugestoßen war. Mr. Earnshaw teilte ihnen von allem reichlich zu, und die gnädige Frau erheiterte sie mit lebhaftem Geplauder. Ich wartete hinter ihrem Stuhl auf und war schmerzlich berührt, zu sehen, wie Catherine mit trockenen Augen und gleichgültigem Gesichtsausdruck begann, einen Gänseflügel zu zerlegen. ›Ein herzloses Kind‹, dachte ich, ›wie leicht sie über den Kummer ihres alten Spielgefährten hinweggeht. Ich hätte
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