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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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sie nicht für so selbstsüchtig gehalten.‹ Sie führte einen Bissen zum Mund, ließ ihn aber sogleich wieder fallen; ihre Wangen bedeckten sich mit tiefer Röte, und die Tränen strömten darüber hin. Sie ließ ihre Gabel auf den Boden fallen und bückte sich hastig unter das Tischtuch, um ihre Bewegung zu verbergen. Ich nannte sie nicht mehr gefühllos, denn ich beobachtete, dass sie sich den ganzen Tag wie im Fegefeuer vorkam und sich bemühte, allein zu sein oder nach Heathcliff zu sehen, den der Herr eingeschlossen hatte; ich entdeckte dies, als ich versuchte, ihm heimlich etwas Essen zuzustecken.
    Am Abend wurde getanzt. Cathy bat, dass er nun freigelassen werde, da Isabella Linton keinen Partner hatte; ihr Flehen war vergebens, und ich musste den Fehlenden ersetzen. Unsere Trübsal verflog im Eifer des Tanzens, und unser Vergnügen steigerte sich, als die fünfzehn Mann starke Musikkapelle aus Gimmerton eintraf: eine Trompete, eine Posaune, Klarinetten, Fagotte, Waldhörner, eine Baßgeige und ausserdem noch Sänger. Sie machen die Runde in allen grösseren Gehöften und erhalten zu Weihnachten Geldspenden, und uns war es ein Hochgenuss ersten Ranges, sie zu hören. Nachdem die üblichen Weihnachtslieder vorgetragen worden waren, baten wir sie um weltliche Lieder und Rundgesänge. Mrs. Earnshaw gefiel die Musik, darum gaben sie uns viel zum besten.
    Catherine gefiel die Musik auch, aber sie sagte, es höre sich am schönsten an, wenn man oben auf der Treppe stünde, und ging im Dunkeln hinauf; ich folgte ihr. Unten wurde die Haustür geschlossen; niemandem fiel unsere Abwesenheit auf, es waren zu viele Leute da. Sie blieb oben auf der Treppe nicht stehen, sondern stieg weiter hinauf zur Dachkammer, in die Heathcliff eingesperrt war, und rief nach ihm. Eine Zeitlang verweigerte er hartnäckig jede Antwort; sie beharrte jedoch und überredete ihn schließlich, sich durch die Holzlatten mit ihr zu unterhalten. Ich ließ die armen Dinger ungestört miteinander plaudern, bis der Gesang seinem Ende zuging und die Sänger eine Erfrischung bekamen; da kletterte ich die Leiter hinauf, um Cathy zu warnen. Anstatt sie draussen anzutreffen, hörte ich ihre Stimme drinnen. Der kleine Schlingel war am Dach entlang aus der Luke der einen Bodenkammer in die der anderen hinübergeklettert, und nur mit grösster Schwierigkeit konnte ich sie überreden, wieder herauszukommen. Als sie herunterkam, begleitete sie Heathcliff, und sie bestand darauf, dass ich ihn mit in die Küche nahm, da mein Küchengefährte zu einem Nachbarn gegangen war, um unserem ›höllischen Psalmensingen‹, wie er es zu nennen beliebte, zu entgehen. Ich sagte, ich hätte keine Lust, ihre Streiche zu unterstützen; aber weil der Häftling seit gestern mittag nichts gegessen habe, wollte ich diesmal ein Auge zudrücken, wenn Mr. Hindley hintergangen würde. Heathcliff ging hinunter, ich setzte ihm einen Stuhl ans Feuer und bot ihm allerlei gute Dinge an; aber er konnte wenig essen vor Schwäche, und meine Versuche, ihn zu unterhalten, schlugen fehl. Er stützte seine Ellenbogen auf die Knie, nahm das Kinn in die Hände und verharrte so in stumpfem Brüten. Als ich ihn fragte, woran er dächte, sagte er ernst: »Ich versuche mir auszudenken, wie ich es Hindley einmal heimzahlen kann. Es ist mir gleichgültig, wie lange ich warte, wenn ich es nur einmal tun kann. Ich hoffe, er stirbt nicht vorher.«
    »Schäme dich, Heathcliff«, sagte ich, »es ist Gottes Sache, schlechte Menschen zu bestrafen; wir sollten lernen, zu verzeihen.«
    »Nein, Gott wird nicht die Genugtuung haben, dass ich das lerne«, entgegnete er. »Ich möchte nur wissen, wie ich es am besten anfange. Lass mich allein, dann kann ich einen Plan machen; wenn ich daran denke, fühle ich keine Schmerzen.« — »Aber, Mr. Lockwood, ich vergesse, dass diese Geschichten Sie nicht interessieren können. Wie ärgerlich, dass ich Ihnen so lange davon vorgeschwatzt habe. Und Ihre Hafersuppe ist kalt geworden, und Sie sind müde. Ich hätte das, was Sie von Heathcliffs Geschichte wissen müssen, in einem halben Dutzend Sätzen erzählen können.«
    Während sich die Haushälterin in dieser Weise unterbrach, stand sie auf und legte ihr Nähzeug beiseite; aber ich war nicht imstande, mich vom Kamin zu rühren, und war durchaus nicht müde. »Bitte, bleiben Sie sitzen, Mrs. Dean«, rief ich, »bleiben Sie noch eine halbe Stunde sitzen! Sie haben ganz recht daran getan, die Geschichte ausführlich zu

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