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Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
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Junge, der je gelebt hat. Aber der Doktor sagt, die gnädige Frau muss sterben; er sagt, sie hat schon seit Monaten die Schwindsucht. Ich habe gehört, wie er es Mr. Hindley sagte; jetzt hat sie nichts, was sie hier noch hält; sie wird sterben, bevor es Winter wird. Du sollst sofort heimkommen. Du sollst es pflegen, Nelly, es mit Zucker und Milch füttern und es Tag und Nacht warten. Ich wünschte, ich wäre du, weil es ganz dir gehört, wenn keine Frau mehr da ist.«
    »Ist sie sehr krank?« fragte ich, warf meinen Rechen hin und setzte meine Haube auf.
    »Ich glaube, ja, obwohl sie frisch aussieht«, erwiderte das Mädchen, »und sie redet so, als ob sie es noch erleben werde, dass aus dem Kinde ein Mann wird. Sie ist ausser sich vor Freude; es ist ein so reizendes Kind! Wenn ich sie wäre, würde ich bestimmt nicht sterben; bei seinem bloßen Anblick ginge es mir besser, Doktor Kenneth zum Trotz. Ich war schön wütend auf ihn. Frau Archer brachte das Engelchen hinunter ins ›Haus‹ zum Herrn, und sein Gesicht fing gerade an zu strahlen, da geht der alte Unglücksrabe auf ihn zu und sagt: ›Earnshaw, es ist ein Segen, dass Ihre Frau am Leben blieb, um Ihnen diesen Sohn zu hinterlassen. Als sie herkam, war ich überzeugt, wir behielten sie nicht lange, und nun muss ich Ihnen sagen, dass es im Winter wohl mit ihr zu Ende gehen wird. Nehmen Sie es sich nicht zu Herzen, und kränken Sie sich nicht zu sehr darüber — es ist nicht zu ändern. Und ausserdem hätten Sie etwas Besseres tun können, als sich ein so schwächliches Mädchen auszusuchen.‹«
    »Und was hat der Herr geantwortet?« fragte ich.
    »Ich glaube, er hat geflucht, aber ich habe mich nicht um ihn gekümmert, ich wollte gern das Kind sehen«, und sie begann wieder, es voller Entzücken zu beschreiben. Ebenso eifrig wie sie eilte ich heimwärts, voll Verlangen, das Kindchen zu bewundern, obwohl mir Hindley sehr leid tat. In seinem Herzen war nur Platz für zwei Götzen: für sich und seine Frau; er schwärmte für beide und betete den einen an; ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie er ihren Verlust ertragen sollte.
    Als wir nach Wuthering Heights kamen, stand er an der Eingangstür, und beim Hineingehen fragte ich: »Wie geht’s dem Baby?«
    »Das kann schon fast laufen, Nell!« erwiderte er und verzog sein Gesicht zu einem vergnügten Lächeln.
    »Und die gnädige Frau?« wagte ich zu fragen; »der Arzt sagt, sie…«
    »Ach, der verdammte Doktor!« unterbrach er mich und wurde rot. »Frances geht es ganz gut; nächste Woche um diese Zeit wird sie wieder ganz gesund sein. Gehst du hinauf? Dann sage ihr, dass ich komme, wenn sie verspricht, nicht zu reden. Ich bin hinausgegangen, weil sie ihren Mund nicht halten wollte, und sie muss — sag ihr, Mr. Kenneth sagt, sie müsse ruhig sein!«
    Ich richtete Mrs. Earnshaw diese Botschaft aus. Sie schien zum Scherzen aufgelegt zu sein und erwiderte vergnügt: »Ich habe kaum ein Wort gesprochen, Ellen, da ist er zweimal weinend hinausgegangen. Gut, sage ihm, ich gelobte, nicht zu sprechen; aber das wird mich nicht hindern, ihn auszulachen!« Arme Seele! Bis eine Woche vor ihrem Tode hat ihr heiteres Gemüt sie nicht im Stich gelassen, und ihr Mann bestand eigensinnig, ja wütend auf der Meinung, ihr Befinden bessere sich von Tag zu Tag. Als Kenneth ihm sagte, seine Arzneien nützten in diesem Stadium nichts mehr, und es sei doch nicht nötig, sich durch die ärztliche Behandlung Unkosten zu verursachen, erwiderte er scharf:
    »Ich weiss, es ist nicht nötig. Sie ist gesund, sie braucht Ihre Behandlung nicht länger. Sie hat nie Schwindsucht gehabt. Es war ein Fieber, und jetzt ist es vorüber; ihr Puls schlägt jetzt so langsam wie meiner, und ihre Wangen sind so kühl wie meine.«
    Er erzählte seiner Frau das gleiche Märchen, und sie schien ihm zu glauben. Aber eines Abends, als sie sich an seine Schulter lehnte und gerade sagte, sie glaube, morgen aufstehen zu können, bekam sie einen Hustenanfall — einen ganz leichten. Er richtete sie in seinen Armen auf, sie legte ihre Arme um seinen Hals, ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, und sie war tot.
    Wie das Mädchen damals vorausgesagt hatte, wurde der kleine Hareton vollständig meiner Pflege übergeben. Solange Mr. Earnshaw ihn gesund sah und nicht schreien hörte, war er in dieser Beziehung zufrieden. Im übrigen aber war er verzweifelt, obwohl sein Kummer sich nicht in Klagen äusserte. Er weinte und betete nicht; er fluchte und verhärtete

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