Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)

Titel: Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Brontë
Vom Netzwerk:
zur Kirche gegangen war. Fasten und Nachdenken schien ihn in bessere Stimmung versetzt zu haben. Er lungerte eine Weile bei mir umher, dann nahm er seinen Mut zusammen und rief plötzlich: »Nelly, mach mich anständig, ich will artig sein!«
    »Höchste Zeit, Heathcliff«, sagte ich, »du hast Catherine traurig gemacht; ich glaube, es tut ihr leid, dass sie überhaupt nach Hause gekommen ist. Es sieht so aus, als ob du sie beneidest, dass man von ihr soviel mehr Wesen macht als von dir.« Dass er Catherine beneiden sollte, war ihm unfasslich, aber dass er sie betrübt hätte, verstand er ganz deutlich.
    »Hat sie gesagt, dass sie traurig ist?« fragte er mit sehr ernstem Gesicht.
    »Sie hat geweint, als ich ihr sagte, dass du heute morgen wieder weggegangen wärst.«
    »Nun, ich habe gestern abend geweint«, entgegnete er, »und ich hatte mehr Grund zu weinen als sie.«
    »Ja, du hattest Grund, weil du mit stolzem Herzen und leerem Magen zu Bett gingst«, sagte ich. »Stolze Menschen schaffen sich selbst Sorgen. Aber wenn du dich deiner Empfindlichkeit schämst, musst du um Verzeihung bitten, wenn sie hereinkommt, hörst du? Du musst auf sie zugehen und ihr einen Kuss anbieten und sagen — du weisst selbst am besten, was; nur mach es herzlich und nicht so, als ob sie sich in deinen Augen durch ihre schönen Kleider in eine Fremde verwandelt hätte. Und nun werde ich mir, obwohl ich das Mittagessen richten muss, die Zeit stehlen und dich so zurechtmachen, dass Edgar Linton wie eine Puppe neben dir aussehen soll, denn das tut er. Du bist jünger, aber ich bin sicher, du bist grösser und doppelt so breit in den Schultern; du könntest ihn im Handumdrehen niederschlagen. Glaubst du nicht, dass du das könntest?«
    Heathcliffs Gesicht heiterte sich für eine Sekunde auf; dann verdüsterte es sich von neuem, und er seufzte: »Ja, aber Nelly, wenn ich ihn auch zwanzigmal niederschlüge, das machte ihn nicht hässlicher und mich nicht schöner. Ich wollte, ich hätte blondes Haar und helle Haut und wäre so hübsch angezogen und betrüge mich so gut wie er und hätte die Möglichkeit, so reich zu werden, wie er es einmal sein wird!«
    »Und würdest bei jeder Gelegenheit nach Mama rufen«, fügte ich hinzu, »und zittern, wenn ein Bauernjunge dich mit erhobener Faust bedroht, und wegen eines Regenschauers den ganzen Tag zu Hause sitzen? O Heathcliff, du hast gar keinen Stolz! Komm vor den Spiegel, ich will dir zeigen, was du wünschen solltest. Siehst du die beiden Linien zwischen deinen Augen und die dichten Brauen, die, statt sich wie Bogen zu wölben, in der Mitte einfallen; und die zwei schwarzen Unholde, tief darunter verborgen, die niemals ihre Fenster keck öffnen, sondern wie Späher des Teufels glitzernd darunter hervorlauern? Wünsche dir und lerne, die mürrischen Falten zu glätten, deine Augenlider frei und offen aufzuschlagen und die Unholde in vertrauende, unschuldige Engel zu verwandeln, die nichts beargwöhnen und bezweifeln und immer Freunde sehen, wo sie nicht sicher sind, Feinden zu begegnen. Laufe nicht wie ein bösartiger Köter umher, der weiss, dass die Schläge, die er erhält, verdient sind, und der doch alle Welt und auch den Schlagenden für das, was er leidet, hasst.«
    »Mit anderen Worten, ich soll mir Edgar Lintons blaue Augen und glatte Stirn wünschen«, entgegnete er. »Das tue ich ja, aber es hilft mir nichts.«
    »Ein gutes Herz wird dir zu einem hübschen Gesicht verhelfen, mein Junge«, fuhr ich fort, »selbst wenn du ein richtiger Neger wärst; und ein böses Herz wird das hübscheste Gesicht so verwandeln, dass es schlimmer als hässlich erscheint. Und nun, da wir mit Waschen, Kämmen und Schmollen fertig sind: sag mal, hältst du dich nicht für ganz hübsch? Das kann ich dir sagen, ich tue es. Du könntest ein verkappter Prinz sein. Wer weiss denn, ob dein Vater nicht der Kaiser von China und ob deine Mutter nicht eine indische Prinzessin war, und jeder von ihnen so reich, dass sie mit den Einkünften einer Woche Wuthering Heights und Thrushcross Grange zusammen erstehen könnten? Und du bist von Seeräubern geraubt und nach England geschleppt worden. Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mir einen hohen Begriff von meiner Geburt machen, und das Bewusstsein dessen, was ich bin, würde mir Mut und Stolz genug verleihen, die Tyrannei eines kleinen Gutsherrn zu ertragen!«
    So schwatzte ich fort, und Heathcliff sah weniger finster drein und fing an, ganz vergnügt zu werden,

Weitere Kostenlose Bücher