Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
sich in Trotz, verwünschte Gott und alle Welt und gab sich tollen Ausschweifungen hin. Seine Leute konnten das tyrannische und böse Benehmen nicht lange ertragen; Joseph und ich waren die einzigen, die bei ihm aushielten. Ich brachte es nicht übers Herz, meinen Schützling zu verlassen, ausserdem, wissen Sie, war ich Mr. Earnshaws Milchschwester gewesen und war deshalb eher geneigt, sein Benehmen zu entschuldigen, als Fremde. Joseph blieb, um die Pächter und Arbeiter zu tyrannisieren und weil er sich berufen fühlte, dort zu sein, wo er viel Schlechtigkeit rügen konnte.
Der schlechte Lebenswandel und der schlechte Umgang des Herrn waren ein schlimmes Beispiel für Catherine und Heathcliff. Die Behandlung, die er diesem zuteil werden ließ, hätte genügt, aus einem Heiligen einen Teufel zu machen. Und manchmal schien es damals, als wäre der Bursche von einem Teufel besessen. Mit einem unheiligen Frohlocken wurde er Zeuge davon, wie Hindley sich rettungslos entwürdigte und wie er von Tag zu Tag grausamer und wüster wurde. Ich kann Ihnen nicht annähernd beschreiben, was für ein höllisches Leben wir führten. Der Vikar hörte auf, uns zu besuchen, und schließlich kam kein anständiger Mensch mehr in unsere Nähe, nur Edgar Lintons Besuche bei Miss Cathy bildeten eine Ausnahme. Mit fünfzehn Jahren war sie die Königin der Umgegend; sie hatte nicht ihresgleichen, und das machte sie zu einem hochmütigen und eigenwilligen Geschöpf. Ich mochte sie nicht, als sie den Kinderschuhen entwachsen war, und ärgerte sie häufig dadurch, dass ich versuchte, ihren Dünkel zu brechen; trotzdem hat sie mir niemals ihre Zuneigung entzogen. Sie zeigte eine wunderbare Beständigkeit in ihren alten Freundschaften; selbst ihre Liebe zu Heathcliff blieb unverändert, und der junge Linton fand es, bei all seiner Überlegenheit, schwer, ebenso tiefen Eindruck auf sie zu machen. Er war mein verstorbener Herr, das ist sein Bildnis dort über dem Kamin. Früher hing es auf einer Seite und das seiner Frau auf der anderen, aber ihres ist entfernt worden, sonst könnten Sie sich ein Bild davon machen, wie sie war. Können Sie es so erkennen?
— Mrs. Dean hob die Kerze hoch, und ich erkannte ein Gesicht mit sanften Zügen, der jungen Dame in Wuthering Heights ausserordentlich ähnlich, aber nachdenklicher und liebenswürdiger im Ausdruck. Es war ein schönes Bild. Die langen blonden Haare waren an den Schläfen leicht gelockt, die Augen groß und ernst blickend, die Gestalt fast zu zierlich. Ich wunderte mich nicht, dass Catherine Earnshaw ihren ersten Freund über einer solchen Erscheinung vergessen konnte. Ich staunte sehr darüber, dass er, wenn sein Charakter mit seinem Äusseren übereinstimmte, die Frau lieben konnte, die meiner Vorstellung von Catherine Earnshaw entsprach.
»Ein sehr reizvolles Bildnis«, bemerkte ich zu der Haushälterin, »ist es ähnlich?«
»Ja«, antwortete sie, »aber er sah besser aus, wenn er angeregt war; dieses war sein Alltagsgesicht; im allgemeinen fehlte es ihm an Feuer.« — Catherine hatte den Verkehr mit den Lintons nach ihrem fünfwöchigen Aufenthalt bei ihnen weiter fortgesetzt. Da in Thrushcross Grange die Versuchung fehlte, ihre rauhe Seite hervorzukehren, und da sie zu klug war, dort ungezogen zu sein, wo sie stets gleichbleibende Höflichkeit erfuhr, täuschte sie die alten Herrschaften unwissentlich durch ihre offene Herzlichkeit. Sie errang sich Isabellas Bewunderung und Herz und Seele des Bruders, Eroberungen, die ihr anfänglich schmeichelten — denn sie war voller Ehrgeiz — und die sie dahin brachten, ein doppeltes Wesen anzunehmen, ohne dass sie bewusst jemanden betrügen wollte. Dort, wo sie Heathcliff als ›gewöhnlichen jungen Raufbold‹ und ›schlimmer als ein Rohling‹ hatte bezeichnen hören, gab sie sich Mühe, sich besser zu betragen, aber zu Hause spürte sie wenig Neigung, Höflichkeit — über die doch nur gelacht worden wäre — zu üben oder sich zu beherrschen, denn das hätte ihr weder Ehre noch Anerkennung eingetragen.
Mr. Edgar brachte selten den Mut auf, Wuthering Heights in aller Offenheit zu besuchen. Er fürchtete Earnshaw und seinen Ruf, schrak vor einer Begegnung mit ihm zurück, obwohl wir alle uns bemühten, ihn immer so höflich wie möglich zu empfangen, und der Herr es sorgfältig vermied, ihn zu verletzen. Wenn er es nicht fertigbrachte, ihm freundlich gegenüberzutreten, dann ging er ihm wenigstens aus dem Wege. Ich glaube nicht, dass
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