Emily Brontë: Sturmhöhe (Wuthering Heights) (Vollständige deutsche Ausgabe)
schmerzenden Schlag auf die Wange, der mir das Wasser in die Augen trieb. — »Catherine, Liebling! Catherine!« legte sich Linton ins Mittel, ganz entsetzt über das doppelte Vergehen der Lüge und der Heftigkeit, das sein Abgott begangen hatte.
»Mach, dass du hinauskommst, Ellen!« wiederholte sie, am ganzen Körper zitternd.
Als der kleine Hareton, der mir überallhin folgte und neben mir auf dem Fußboden saß, meine Tränen sah, fing er auch an zu weinen und klagte schluchzend ›die böse Tante Cathy‹ an. Das lenkte ihre Wut auf sein unglückliches Haupt. Sie packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn, bis der arme Junge leichenblass wurde und Edgar unwillkürlich ihre Hände ergriff, um ihn zu befreien. Im Augenblick hatte sie ihm eine Hand entwunden, und der erstaunte junge Mann fühlte sie auf seiner eigenen Wange so heftig, dass er es nicht als Scherz gelten lassen konnte. Er wich bestürzt zurück. Ich nahm Hareton in meine Arme und ging mit ihm in die Küche, doch ließ ich die Verbindungstür offen, denn ich war neugierig, wie das enden würde. Der beleidigte Gast wandte sich blass und mit zitternden Lippen der Stelle zu, wo er seinen Hut hinterlegt hatte. ›So ist es recht‹, sagte ich bei mir. ›Lass dich warnen und mach, dass du fortkommst! Es ist ein Glück, dass du sie kennenlernst, wie sie wirklich ist.‹
»Wo gehst du hin?« fragte Catherine und schritt zur Tür. Er machte eine Bewegung zur Seite und versuchte vorbeizugehen.
»Du darfst nicht gehen!« rief sie energisch.
»Ich muss und ich will gehen!« entgegnete er mit gedämpfter Stimme.
»Nein«, beharrte sie und ergriff die Türklinke, »noch nicht, Edgar Linton! Setz dich hin; du wirst mich nicht in dieser Stimmung allein lassen. Ich wäre die ganze Nacht unglücklich, und ich will um deinetwillen nicht unglücklich sein!«
»Kann ich bleiben, nachdem du mich geschlagen hast?« fragte Linton.
Catherine blieb stumm.
»Du hast mich erschreckt, und ich schäme mich für dich«, fuhr er fort. »Ich werde nicht wieder herkommen!«
Ihre Augen fingen an zu glitzern, und ihre Lider zuckten.
»Und du hast vorsätzlich die Unwahrheit gesagt!« meinte er.
»Das habe ich nicht getan!« schrie sie, ihre Sprache zurückgewinnend; »ich habe nichts vorsätzlich getan. Gut, geh, wenn du willst — geh weg! Aber dann werde ich weinen, krank weinen werde ich mich!«
Sie ließ sich an einem Stuhl auf die Knie niedergleiten und fing ganz im Ernst an zu weinen. Edgar beharrte in seinem Entschluss — bis zum Hof, dort zögerte er. Ich beschloss, ihn zu ermutigen.
»Das Fräulein ist schrecklich launisch, Herr«, rief ich hinaus.
»Sie ist wie ein verwöhntes Kind; reiten Sie lieber nach Hause, sonst wird sie krank, nur um uns zu ärgern.«
Der weichherzige Junge blickte misstrauisch durch das Fenster. Er konnte ebensowenig weggehen, wie die Katze eine Maus halb tot oder einen Vogel halb aufgefressen liegenlässt. ›Na‹, dachte ich, ›dem ist nicht mehr zu helfen; er entgeht seinem Schicksal nicht.‹ Und so war es: er drehte sich plötzlich um, eilte wieder ins Haus und schloss die Tür hinter sich. Als ich nach einer Weile hereinkam, um ihnen zu sagen, dass Earnshaw, sinnlos betrunken, nach Hause gekommen wäre, bereit, alles kurz und klein zu schlagen (seine übliche Stimmung in dieser Verfassung), sah ich, dass der Streit nur die Vertraulichkeit vergrössert, die Schranken jugendlicher Schüchternheit durchbrochen und sie dahin geführt hatte, den Deckmantel der Freundschaft fallen zu lassen und sich als Liebende zu bekennen.
Die Nachricht von Mr. Hindleys Ankunft trieb Linton schleunigst aufs Pferd und Catherine in ihr Zimmer. Ich ging, um den kleinen Hareton zu verstecken und die Kugel aus der Flinte des Herrn zu entfernen; denn er spielte in seiner Unzurechnungsfähigkeit und Erregung oft damit und brachte dadurch jeden, der ihn reizte, ja der nur seine Aufmerksamkeit zu sehr auf sich lenkte, in Lebensgefahr. Ich war darauf verfallen, sie herauszunehmen, damit er kein Unheil anrichtete, falls er einmal dahin kommen sollte, die Flinte abzufeuern.
Neuntes Kapitel
SCHRECKLICHE FLÜCHE vor sich hin brüllend, stürzte er herein und erwischte mich dabei, wie ich seinen Sohn im Küchenschrank verstaute. Hareton war von einer heillosen Angst erfüllt, sowohl vor Hindleys tierisch wilder Zärtlichkeit wie auch vor seiner irrsinnigen Wut; bei der einen lief er Gefahr, zerquetscht oder totgeküsst, bei der anderen,
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