Emma und der Rebell
und lief über die Hintertreppe nach unten.
Chloe war fort, aber dafür war Daisy in der Küche. Sie war damit beschäftigt,
einen Brotteig zu kneten.
»Was ist
los, Kind?« fragte sie lachend, als Emma hereinstürmte. »Ist dir der Teufel
auf den Fersen?«
Emma blieb
stehen, um Atem zu holen. »Ja«, bestätigte sie düster. »Weißt du, wo Chloe Mr.
Fair ... wo sie Stevens Colt aufbewahrt?«
»In ihrer
Schreibtischschublade, bei ihrem Derringer. Aber warum fragst du? Willst du ihm
die Waffe etwa zurückgeben?« Emma nickte und wandte sich zur Tür. »Genau.«
»Aber warum,
Emma?« fragte Daisy verblüfft und folgte ihr in Chloes Arbeitszimmer.
Emma holte
den Schlüssel aus dem ihr bekannten Versteck, schloß Chloes Schreibtisch auf
und zog den gewaltigen 45er Colt heraus. »Vielleicht jagt er sich damit eine
Kugel in den Kopf«, murmelte sie grimmig.
Daisy blieb
auf der Schwelle stehen. »Miss Emma, entweder Sie lassen das Ding da liegen,
oder ich lege Sie übers Knie, wie früher, als Sie noch ein kleines Mädchen
waren!«
Emma hob
die Waffe und richtete sie auf das Bücherregal an der Wand. Wie mochte es wohl
sein, sie abzufeuern? Im nächsten Augenblick erfuhr sie es, denn die Waffe
ging ohne ihr Zutun los, und mehrere von Choes ledergebundenen Büchern
explodierten in einer Wolke aus Rauch und Papierfetzen.
Daisy
schrie, und Emma auch. Auch als sie entsetzt die Waffe fallen ließ, ging sie
von neuem los. Diesmal zerstörte die Kugel ein Bein von Big Johns
Lieblingsessel.
»Wage ja
nicht, das Ding noch einmal zu berühren!« kreischte Daisy, als Emma sich
bückte, um den Colt aufzuheben.
Emma ließ
ihn liegen und richtete sich betroffen auf. Lange Zeit standen die beiden
Frauen schweigend und reglos da, voller Angst, sich zu bewegen, und Emma
stellte sich alle möglichen schrecklichen Dinge vor, die hätten passieren
können. Sie war verblüfft, als sie Steven in den Raum stolpern sah, mit
Ausnahme seiner Stiefel voll angekleidet, und schweißbedeckt von der
Anstrengung, allein und in aller Eile die Treppe hinunterzugehen. Seine Augen
flackerten wild.
»Was zum
Teufel geht hier vor?« schrie er.
Emma zeigte
auf den Revolver, als sei er eine Schlange, bereit zum Angriff. »Er ist
losgegangen – zweimal.«
Steven
stützte sich schweratmend auf die Schreibtischkante. »Heb ihn vorsichtig auf
und gib ihn mir«, befahl er.
Emma biß
sich nervös auf die Lippen und zögerte.
»Du kannst
es«, drängte Steven. »Du darfst nur den Abzug nicht berühren.«
Emma bückte
sich, hob die Waffe vorsichtig auf und gab sie Steven, der sofort die
restlichen vier Kugeln entfernte. Dann atmete er erleichtert auf, seufzte und
betrachtete den Colt so liebevoll, als sei er ein Hündchen oder eine kleine
Katze.
»Ich wollte
ihn dir bringen«, gestand Emma.
»Sie
hoffte, Sie würden sich damit eine Kugel in den Kopf jagen«, murmelte Daisy,
bevor sie sich abwandte und in die Küche zurückging.
Stevens
Stimme klang ungewöhnlich ruhig. »Warum haben Sie es sich anders überlegt,
Emma? Das letzte Mal, als ich Sie um den Revolver bat, wollten Sie ihn mir
nicht geben.«
Emma leckte
sich nervös die Lippen. Sie wußte selbst nicht, warum sie die Waffe hatte
berühren und halten wollen. Wahrscheinlich übte sie die gleiche gefährliche
Faszination auf sie aus wie ihr Besitzer.
»Antworten
Sie«, beharrte Steven.
»Ich weiß
es nicht«, erwiderte Emma.
»Wo ist das
Halfter?«
Emma ging
zu Chloes Schreibtisch und holte den Gurt aus schon etwas brüchigem Leder, der
aussah, als würde er schon jahrelang benutzt. »Sie sind ein Rebell, nicht
wahr?« flüsterte sie, als sie ihm das Halfter reichte.
Steven nahm
es und legte Gürtel und Halfter schnell an. Es war ihm anzusehen, wie schwach
er war, er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. »Das kommt darauf an,
auf welcher Seite Sie stehen, Miss Emma«, erwiderte er.
Nervös
befeuchtete sie ihre Lippen. »Geben Sie mir die Waffe, Steven. Wir verstecken
sie.«
Er
schüttelte den Kopf. »Würden Sie so freundlich sein, mir die Treppe
hinaufzuhelfen?«
Emma
nickte, und Steven stützte sich auf ihre Schultern.
Oben in
seinem Zimmer streckte er sich auf dem Bett aus, legte den Colt neben sich auf
die Matratze und schloß die Augen. »Ich bin kein Verbrecher, Miss Emma«, sagte
er müde. »Sie sind bei mir in Sicherheit.«
> Sicher < war wohl kaum das Wort, das Emma – nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen
war – benutzt hätte, aber sie besaß keine Kraft
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