Emma und der Rebell
Wasserkessel auf den Herd und blieb bebend vor Zorn davor
stehen. Ausgerechnet in diesem Augenblick kam Chloe herein.
Erstaunt
musterte sie Emmas aufgelöstes Haar und ihr zerknittertes Kleid. »Ist dir
nicht gut, Emma?« fragte sie besorgt. »Nein«, antwortete Emma kurz. »Überhaupt
nicht.«
»Darf ich
fragen, was passiert ist? Du siehst aus wie damals, als du elf oder zwölf warst
und den ganzen Tag auf der Insel verbracht hattest.« Doch Chloes
Gesichtsausdruck verriet, daß sie die Wahrheit erraten hatte, und ihre grünen
Augen funkelten belustigt.
»Soso,
Emma! Du hast dich also von Steven küssen lassen. Und ziemlich gründlich sogar,
deinem Aussehen nach zu schließen.«
»Ich bin
nicht besser als meine Mutter!« flüsterte Emma erschüttert.
»Unsinn!«
widersprach Chloe energisch und ging zum Schrank, um Tee, Kanne und Tassen
herauszunehmen. »Du würdest nie jemanden, der dich braucht, im Stich lassen.
Der beste Beweis dafür ist deine beharrliche Suche nach deinen verlorenen
Schwestern.«
Emma sank
auf einen Stuhl am Tisch. Ihre Kehle war wie zugeschnürt von ihren
widerstreitenden Emotionen.
Mit einem
nachsichtigen Lächeln setzte Chloe sich zu ihr. »Wie wäre es, wenn du dir den
Tag morgen freinehmen würdest? Du könntest ruhig einmal etwas für dich selbst
tun, Emma.«
»So? Was
denn?« entgegnete Emma in hoffnungslosem Ton.
Chloe
zuckte mit den Schultern. »Ich fahre morgen nachmittag zu Big John hinaus. Du
könntest mich begleiten.« Emma dachte an Joellen und verzog das Gesicht. »Nein,
danke. Ich würde euch nur im Weg sein.« Und dann endlich kamen ihr die Tränen,
und sie begann zu weinen.
»Emma, was
ist dort oben vorgefallen? Ein simpler Kuß kann dich doch nicht so erschüttert
haben!« sagte Chloe streng.
Zum ersten
Mal, seit Emma Chloe kannte, wagte sie sich ihrer Adoptivmutter nicht
anzuvertrauen. Dazu schämte sie sich zu sehr. Wie sollte sie ihr eingestehen,
welche Freiheiten sie Steven gestattet hatte – und wie sehr sie es genossen
hatte? »Mach dir keine Sorgen, es geht schon wieder«, meinte sie gepreßt, dann
stand sie auf und verließ die Küche, ohne ihren Tee zu trinken.
In ihrem
Zimmer bürstete sie ihr Haar, flocht es neu und steckte es zu einer Krone auf.
Da sie der Ansicht war, es sei besser, sich durch Arbeit abzulenken als im
Haus zu bleiben und darüber nachzudenken, was für ein leichtfertiger Mensch sie
war, ging sie hinunter. Sie wollte in die Stadt.
Aber an der
Haustür verspürte sie plötzlich das dringende Bedürfnis, noch einmal nach
Steven zu sehen – trotz allem, was er sich ihr gegenüber erlaubt hatte.
Sie kehrte
in den ersten Stock zurück, klopfte leise an seine Tür und trat ein.
Steven
hatte seine neuen Kleider angezogen und versuchte nun, aufzustehen, indem er
sich am Bettpfosten festhielt. Er war ganz blaß von der Anstrengung und hielt
die Augen fest geschlossen. Obwohl er Emmas Anwesenheit spüren mußte, schenkte
er ihr keinerlei Beachtung.
Rasch ging
Emma auf ihn zu und ergriff seinen Arm. »Sie dürfen noch nicht aufstehen!«
Er maß sie
mit einem verdrossenen Blick, als sei es ihre Schuld, daß er sich ohne fremde
Hilfe nicht bewegen konnte. Dann ließ er sich auf die Matratze zurücksinken,
und blieb reglos liegen. Sein Gesicht war grau vor Schmerz, ein Muskel an
seiner Wange zuckte vor unterdrücktem Zorn.
»Wie fühlen
Sie sich?« fragte Emma besorgt.
Steven
öffnete die Augen. »Ihre Frisur ist unmöglich«, erklärte er, ohne ihre Frage zu
beantworten. »Sie sehen wie eine alte Jungfer aus.«
»Ist Ihnen
noch nie der Gedanke gekommen, daß ich vielleicht wie eine Dame aussehen will?« entgegnete Emma schroff. »Wozu?« knurrte er und griff nach seinem Buch.
»Ich habe
es nicht nötig, mich von Ihnen beleidigen zu lassen!« meinte sie gekränkt.
»Sie sind der arroganteste, unerträglichste Mensch, den ich kenne, Mr. Fairfax!«
Steven
lächelte amüsiert. »Das klingt gut. Nennen Sie mich in Zukunft immer so –
zumindest in der Öffentlichkeit. Mr. Fairfax.« Er machte eine Pause.
»Ja, das wäre mir sehr angenehm.«
Wenn Emma
etwas in der Hand gehabt hätte, wäre es jetzt an seinem Kopf gelandet. »Sie
bilden sich doch wohl hoffentlich nicht ein, daß ich nach allem, was
vorgefallen ist, überhaupt noch mit Ihnen sprechen werde!«
Er lachte.
»Sie tun viel mehr als mit mir zu sprechen.«
Mit einem
erstickten Wutschrei stürzte Emma nun schon zum dritten Mal in einer Stunde zur
Tür, verließ fluchtartig den Raum
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