Emma und der Rebell
die Lippen. »Wenn Sie Steven sehen«, meinte er hastig und
mit einem Blick auf die Tür, »sagen Sie ihm, ich hätte seine Sachen für ihn
aufgehoben. Ich habe gut auf sie aufgepaßt.«
Emma
nickte, und als Nathaniel fort war, schloß sie die Tür von neuem ab und kehrte
zu ihrem angefangenen Brief zurück. Sie würde ihn so bald wie möglich
abschicken und den Scheck über die siebenhundertfünfzig Dollar auf irgendein
Konto einzahlen, das sie für Notfälle einzurichten gedachte.
Falls
Steven verurteilt wurde, brauchte sie das Geld, um aus New Orleans zu fliehen.
Das
Gefängnis war ein düsterer
Ort, erfüllt vom Geruch nach Schweiß und verrottenden Seelen, und Emma
klammerte sich an Cyrus' Arm, während sie darauf warteten, in den Besucherraum
gelassen zu werden. Wenn sie nicht so entschlossen gewesen wäre, Steven keine
Tränen zu zeigen, hätte sie sicherlich bitterlich geweint. Aber so preßte sie
nur das Taschentuch an Mund und Nase, wie Lucy es ihr geraten hatte.
Steven trug
die gleichen Kleider wie am Tag zuvor; er hatte nur Rock und Krawatte abgelegt.
Sein Haar war zerzaust, weil er ständig nervös mit der Hand hindurchfuhr, und
seine Augen hatten bereits einen gehetzten Ausdruck angenommen.
Aber als er
Emma erblickte, hellte sich seine Miene auf, und er beugte sich lächelnd über
den Tisch, um sie zu küssen. Sie sagte ihm nicht, daß sie kein Baby unter dem
Herzen trug, weil sie spürte, daß er irgendeine Hoffnung brauchte, an die er
sich in diesen dunklen Tagen klammern konnte.
»Alles in
Ordnung bei dir?« fragte er.
»Ich bin
jetzt nicht wichtig«, wehrte Emma ab. »Was ist mit dir? Haben sie dir etwas angetan?«
Steven
schüttelte den Kopf, aber sie war trotzdem nicht beruhigt. Er ließ sich auf
der langen Bank hinter dem Tisch nieder, der die Besucher von den Häftlingen
trennte, und Cyrus und Emma setzten sich ihm gegenüber.
»Ich tue
alles, um dich hier herauszuholen, mein Junge«, versicherte Cyrus seinem
Enkel. »Aber die Tatsache, daß du schon einmal geflohen bist, macht es mir
nicht gerade leichter.«
Steven
umklammerte Emmas Hände, und es schien ihm schwerzufallen, den Blick nur so
lange von ihr zu lösen, um seinem Großvater zu antworten. »Ich weiß,
Granddaddy«, sagte er, »und
ich möchte, daß du mir eins versprichst: Wenn ich verurteilt werde, will ich,
daß Emma sofort den nächsten Zug nach Norden nimmt. Ist das klarI«
Emma
richtete sich gerade auf. »Du wirst nicht verurteilt, Steven«, erklärte sie
fest. »Du bist unschuldig.«
»Das ist
nicht immer entscheidend«, wandte Steven ein und umklammerte ihre Hände noch
fester. Seine Blicke glitten prüfend über ihr Gesicht. »Emma, geht es dir
nicht gut? Du bist so blaß.«
»Natürlich
ist sie blaß«, meinte Cyrus schroff. »Schließlich sitzt der Mann, den sie
liebt, im Kittchen.«
Emma
lächelte schwach, dann sagte sie: »Ich habe eine Nachricht für dich – von
Nathaniel. Er sagt, er paßt gut auf deine Sachen auf.«
»Dann hat
er mir also verziehen?«
Cyrus
schnaubte. »Verziehen? Er ist ein Fairfax. Ich nehme an, daß er dir nicht eher
verzeiht, bis er dich mit einer Ochsenpeitsche erwischt und du ihm den Hintern
versohlt hast.«
Emma zuckte
zusammen, und Steven drückte beruhigend ihre Hand. »Mit Nathaniel kann ich
umgehen«, tröstete er sie. Ein Gefängniswärter kam zu Steven, und obwohl er
Cyrus einen respektvollen Blick zuwarf, sagte er grob zu dem Gefangenen:
»Schluß jetzt, Fairfax. Die Zeit ist abgelaufen.«
Langsam
erhob sich Steven. Er hielt Emmas Hand und ließ seine Daumen streichelnd über
ihre Fingerknochen gleiten. Dann wandte er sich ab und ging mit hängenden
Schultern davon.
In Emmas
Herz, das zum ersten Mal damals, vor vielen Jahren in dem Waisenkinderzug
gebrochen war, platzten alle alten Wunden auf. Cyrus nahm sanft ihren Arm und
führte sie hinaus.
»Ich kann
es nicht ertragen«, schluchzte sie, als sie in der Kutsche saßen.
Cyrus legte
ihr die Hand auf die Schulter und streichelte ihren Rücken. »Pst, Emma, Liebes.
Du wirst es ertragen, weil du es mußt. Dein Mann braucht dich jetzt.«
Sie nickte,
aber sie konnte nicht aufhören zu weinen.
»Ich war
sehr stolz auf dich dort drinnen«, fuhr Cyrus fort. »Du hast dich gut gehalten
für einen Yankee.«
Emma hob
entrüstet den Kopf, aber dann lachte sie, trotz allem, als sie das Lächeln in
seinen weisen alten Augen sah.
»Stört es
dich nicht, daß dein Enkel eine Frau aus dem Norden geheiratet hat?«
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