Emma und der Rebell
darauf
warten, daß sich auch der Rest der Welt zu unserer Ansicht bekennt, werden wir
uns besser kennenlernen.«
Emmas
Dankbarkeit war fast so groß wie ihre Verzweiflung. Wenn Cyrus nicht am
Bahnsteig erschienen wäre, hätte sie jetzt ganz allein mit Macon dagestanden.
Und diese Aussicht erschien ihr alles andere als erfreulich. Sie nahm den Arm,
den Cyrus ihr bot, und lächelte unter Tränen zu dem alten Mann auf. Er führte
sie zu einer wartenden Kutsche, half ihr hinein und stieg dann selbst ein. Da
sich das Gefährt sofort in Bewegung setzte, als sie saßen, war es klar, daß sie
nicht auf Macon warten würden.
Emma sank
erleichtert zurück.
Fairhaven
befand sich im nördlichen Teil der Stadt, wie Emma merkte, und sein erster
Anblick riß Emma aus ihren trüben Überlegungen. Es war ein imposantes Haus mit
mächtigen weißen Säulen und gepflegten Rasenflächen. Wunderschöne alte
Magnolienbäume mit rosa, lila und weißen Blüten säumten die lange, gewundene
Einfahrt, und eine sanfte Brise trug den süßlichen Duft der Blüten zu Emma
hinüber.
Obwohl sie
wußte, daß Steven nicht arm war, hätte sie doch nie geglaubt, daß seine Familie
so reich war, und nun wandte sie sich mit fragendem Blick an Cyrus.
»Hat er es
Ihnen nicht gesagt?« fragte der alte Mann, und seine gütigen Augen zwinkerten
ein bißchen.
Emma schüttelte
den Kopf. Es kam ihr jetzt wie eine Ironie des Schicksals vor, daß sie Steven
anfangs nicht hatte heiraten wollen, weil sie angenommen hatte, daß er ihr
nicht die gleiche gesellschaftliche Position wie Fulton bieten konnte.
Die Kutsche
hielt vor dem Haus, und eine zierliche blonde Frau kam herausgelaufen. Sie war
ganz in Schwarz gekleidet, und Emma fragte sich, wer wohl gestorben sein
mochte. Viel leicht hatte das Fieber auch schon dieses prächtige Haus
erreicht ...
»Das ist
Lucy«, erzählte Cyrus ihr, während er wartete, daß der Kutscher die Tür
öffnete. »Sie ist Macons Frau.«
Als Emma
sah, wie sich die Frau eilig näherte, einen eifrigen Ausdruck in ihrem
puppenhaft schönen Gesicht, empfand sie Mitleid mit ihr. »Ist jemand
gestorben?«
»Nein, Lucy
trauert um ihre Träume«, sagte Cyrus leise, und dann schwang die Tür auf.
»Hast du
sie mitgebracht?« fragte Lucy. »Ist sie da?«
Cyrus
lachte und half Emma aus der Kutsche. Dabei zuckte ein beunruhigender Krampf
durch ihren Unterleib, und sie mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht
aufzuschreien.
Lucy hatte
große, dunkle Augen, und ihre Haut war makellos glatt wie feinstes englisches
Porzellan. Freudig ergriff sie Emmas Hand. »Es wird schön sein, noch eine Frau
im Haus zu haben«, sagte sie mit ihrem weichen Südstaatenakzent. »Seit ich
herkam, bin ich zahlenmäßig immer die Unterlegene gewesen.«
Sie mußte
Emmas Verblüffung gespürt haben, denn nun lachte sie und fügte verschmitzt
hinzu: »Sie fragen sich, woher wir wußten, daß Sie kommen würden? Nun, ganz einfach
– Steven hat uns ein Telegramm geschickt. Er wollte Sie nicht Macons Gnade
überlassen.«
Emma war
zuerst erstaunt, daß Lucy so gelassen über die Schuftigkeit ihres Mannes
sprechen konnte, dann dachte sie traurig, daß Lucy wahrscheinlich so an Macons
Brutalität gewöhnt war, daß sie ihr inzwischen nicht mehr Beachtung schenkte
als seiner Schuhgröße oder dem Datum seiner Taufe.
»Ich freue
mich sehr, Sie kennenzulernen«, sagte Emma aufrichtig.
»Mein Gott,
Sie Arme!« rief Lucy kopfschüttelnd, legte Emma einen Arm um die Schultern und
führte sie auf das große Portal zu. »Da haben Sie jetzt tagelang in diesem
schrecklichen Zug gesessen und bestimmt kaum geschlafen und gegessen, und ich
lasse Sie wie eine Hausiererin auf der Schwelle stehen!«
Die Krämpfe
in Emmas Unterleib wurden stärker, und auf einmal wußte sie, daß sie kein Baby
haben würde, wie sie es sich so
sehnlichst erhofft hatte. Allem Anschein nach hatten sich ihre Monatsblutungen
eingestellt.
»Sie
möchten bestimmt ein Bad und etwas Tee«, sagte Lucy. Emma nickte düster.
»Dort
finden Sie eine Wanne.« Lucy zeigte auf eine Tür. »Jesse – das ist unser Butler
– bringt Ihr Gepäck herauf, sobald es vom Bahnhof eintrifft. In der
Zwischenzeit kann ich Ihnen einen Morgenrock von mir borgen.«
»Sie sind
sehr freundlich«, sagte Emma dankbar.
Als Lucy
fort war, öffnete Emma die Tür, die ihre Schwägerin ihr gezeigt hatte, und
entdeckte die versprochene Badewanne. Sie war lang und tief und hatte
vergoldete Klauenfüße.
Emma drehte
die Hähne
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