Emma
immer ein Ausbund an Ruhe und Abgeklärtheit gewesen. Ihn so
aus der Fassung zu sehen, fand sie mehr als beängstigend.
„Antonio,
was ist denn nur passiert?“ Ihre Stimme zitterte dermaßen und ihr Atem ging so
heftig, dass sie fast nicht sprechen konnte.
„Ein
Autounfall. Sie haben ihn um vier Uhr morgens in einem Kanal gefunden. Zum
Glück hatte der gerade wenig Wasser, es reichte ihm nur bis zur Brust. Seine
Beine waren eingeklemmt und er war bewusstlos. Es war ein Mammutunterfangen,
ihn da herauszuholen. Er hat vielleicht ein Schleudertrauma im Nacken und ein
paar gebrochene Rippen. Die Lunge könnte ebenso verletzt sein wie die
Wirbelsäule und sie können noch nicht sagen, ob und wenn ja wie schwer. Das
versuchen sie mit diesen ganzen Untersuchungen jetzt irgendwie herauszufinden,
aber sie sagen, das Gewebe um den Wirbel herum ist zu stark angeschwollen, sie
konnten bisher nicht genug erkennen. Von MRT bis CT und keine Ahnung was noch
alles probieren sie jetzt ihre sämtlichen Diagnosemöglichkeiten durch.“
Er
klang dumpf und müde.
„Wie
lange bist du schon hier?“, fragte sie ihn unvermittelt, als ihr seine
Erschöpfung plötzlich bewusst wurde.
Nun
wandte er endlich den Kopf und sah ihr ins Gesicht.
„Seit
heute Morgen. Sobald die Polizei seine Identität festgestellt hatte, hat man
uns informiert. Zum Glück hatte er seine Papiere bei sich.“
„Warum
ist er hier? Warum nicht in Bologna?“
Antonio
zögerte einen Moment, schien ihr, ehe er sich zu einer Antwort durchrang.
„Weil
es hier passiert ist, in der Nähe von Abano. Er hatte wohl einen Ausflug
gemacht und es spät werden lassen. Um vier haben sie ihn gefunden, aber keiner
weiß genau, wann es wirklich passiert ist. Wie lange er schon da drin
feststeckte, bis einem vorbeifahrenden Auto die Lichter im Kanal auffielen. Um
diese Uhrzeit ist da wenig los auf den Straßen.“
Abano?
Emma konnte sich keinen Reim darauf machen. Was tat Davide mitten unter der
Woche abends in Abano? Hatte er einen geschäftlichen Termin gehabt?
„Wollte
er mal eben wieder eine Firma kaufen?“ Ihre Stimme klang zynischer, als sie
eigentlich gewollt hatte, und Antonio, bei dem ebenfalls die Nerven blank
lagen, reagierte sofort.
„Was
er dort wollte, geht dich überhaupt nichts an, okay? Du bist berechnend und
gefühlskalt und ausgerechnet in dich musste er sich verdammt noch mal
verlieben! Sei froh, dass du überhaupt hier bist, du gehörst weder zum Personal
noch zur Familie und schon gar nicht zu seinen Freunden, also spar dir deine
bösen Kommentare!“
Emma
sah wie versteinert zu Boden.
Dass
Antonio zu solch einer Explosion fähig war, zeigte überdeutlich, wie angespannt
er war und wie ernst die Lage sein musste. Abgesehen davon hatte sie sich den
Rest selber auch schon gefragt.
Was
tat sie hier? Warum hatte er sie überhaupt informiert?
Was
ging hier vor?
Als
sie immer noch betreten schwieg, schüttelte Antonio schließlich den Kopf und
sah sie an.
„Tut
mir leid, dass ich ausgerastet bin, das wollte ich nicht. Aber ich bin am Ende
mit meinem Latein, es sieht einfach nicht gut aus!“
Endlich
wagte sie es, ihm die Frage zu stellen, die einzige, die sie überhaupt
interessierte und vor deren Antwort sie panische Angst hatte.
„Wird
er – er wird doch hoffentlich – Antonio, wie sieht es wirklich aus? Wird er
überleben?“
Ihre
Augen trafen sich. Antonio wand sich unter ihrem Blick. Dann schließlich gab er
sich einen Ruck.
„Das
wissen sie noch nicht!“
Jegliches
Zeitgefühl schien zu verschwimmen.
Nachdem
sie ihre Eltern angerufen und darüber informiert hatte, dass sie nicht wie
geplant am Wochenende nach Hause kommen würde, saß sie Seite an Seite mit
Antonio im Wartesaal der Notaufnahme. Längst wusste Emma nicht mehr, wie viele
Stunden vergingen, während sie abwechselnd die Zeiger der Uhr oder die Klinke
der Zugangstür anstarrte. Weder das eine noch das andere schien sich jemals
wieder bewegen zu wollen. Die Zeit schlich quälend langsam dahin und niemand
kam durch die Tür, um ihnen ihre Angst zu nehmen oder sie zur traurigen
Gewissheit werden zu lassen.
Am
Anfang hatte sie noch versucht, ein Gespräch aufrecht zu erhalten, zum Teil
auch deshalb, um ihre immer noch bohrenden Fragen beantwortet zu wissen, doch
viel mehr als er ihr bereits gesagt hatte, wusste auch er nicht. Trotzdem hatte
sie das Gefühl, dass Antonio sie absichtlich über den Zweck von Davides
Aufenthalt in Abano im Unklaren ließ. Das schürte
Weitere Kostenlose Bücher