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Emma

Emma

Titel: Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura-Marí D'Angelo
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spurlos
verschwunden war.
    „Santo
Antonio mio, wo hab ich sie denn nur wieder hingelegt?“, hatte es dann
geheißen. Und sonderbarerweise war der gesuchte Gegenstand mehr als einmal kurz
darauf wieder aufgetaucht, so als hätte ihn jemand absichtlich gut sichtbar auf
den Tisch oder in die Kommodenschublade gelegt.
    Heute
hatte sie ein besonderes, ein schwieriges und ein lebenswichtiges Anliegen an
den verständnisvollen Heiligen.
    Zuerst
kaufte sie im Kirchenladen die Kerzen. Große, dicke, weiße Kerzen. Mit denen im
Arm kehrte sie zurück in die Basilika. Es war überraschend wenig Gedränge an
diesem späten Nachmittag, stellte sie fest, so dass sie keine Schwierigkeiten
hatte, an das Grabmal des Heiligen zu gelangen.
    Sie
legte die Kerzen in die dafür vorgesehenen Behältnisse, stieg dann die Treppe
hinauf in das Seitenschiff, und näherte sich langsam dem steinernen weißen
Sarkophag des Heiligen. Ihre ganze Aufmerksamkeit fokussierte sich nur noch auf
das Anliegen, das sie mit sich trug, und das momentan für sie das Wichtigste
überhaupt war.
    Sie
streckte die rechte Hand aus und berührte sanft den kühlen, prachtvoll
geschnitzten Stein vor sich. Leere breitete sich in ihr aus, und eine Stille,
die immer intensiver wurde.
    Und
dann passierte es.
    Ausgehend
von ihren Fingerspitzen, die auf dem sich unter ihrer Berührung langsam
erwärmenden Stein lagen, begann ein leises, aber deutlich spürbares Kribbeln.
Es bemächtigte sich zuerst ihrer Finger, dann der Handfläche. Dann wanderte es
als Gänsehaut über ihren Unterarm, außen entlang am Ellbogen vorbei und hinauf
zur Schulter. Es wurde so intensiv, dass Emma unwillkürlich nachsah, ob ihr
nicht ein Heer von Ameisen über die Haut lief!
    Mit
einem erstickten Laut zog sie die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt.
Ihre Kehle wurde eng und sie presste sich die Hand vor den Mund. Sie hielt sich
nur noch mühsam aufrecht, als sie die paar Schritte zurücklegte und sich auf
eine der hölzernen Gebetsbänke fallen ließ, die in den Nischen um die Kapelle
herum angebracht waren.
    Ihre
Augen wurden blind von den Tränen, die sie beinahe nicht mehr zurückhalten
konnte, ihre Kehle brannte und ihr Gesicht glühte.
    Stumm
starrte sie vor sich hin, krampfhaft bemüht, die anderen Pilger und Betenden
nicht mit ihrer Verwirrung zu stören. Aus dem Augenwinkel nahm sie einen Pater
wahr, der mit einem prüfenden Blick auf sie die Treppe heraufkam. Er schien zu
bemerken, dass sie sehr aufgewühlt war und ging direkt auf sie zu.
    „Alles
in Ordnung, Signora?“, fragte er mit leiser, warmer Stimme, als er sich zu ihr
beugte.
    Emma
nickte unter Tränen und schaffte es, sein sanftes Lächeln zu erwidern.
    „Ja,
Pater, danke! Alles in Ordnung, il Santo hat mich nur wieder mal ziemlich
berührt!“
    Mit
verständnisvollem Kopfnicken und einem gemurmelten Segen entfernte sich der
Pater wieder und ließ sie in Frieden. Emma atmete vorsichtig auf und schaffte
es danach tatsächlich, sich wieder zu beruhigen.
    Sie
wusste, was hier passiert war, und dass das nichts, und zwar absolut gar nichts
mit Wundern oder übersinnlichen Kräften zu tun hatte. Sie hatte sich selbst so
stark manipuliert, dass ihre eigene Anspannung sich auf diese Weise Luft
gemacht hatte, nicht mehr als das!
    Und
dennoch war es ein beeindruckendes und beklemmendes Erlebnis gewesen, ein
Erlebnis, das sie aufwühlte und tief berührte.
    Emma
blieb noch eine Weile sitzen. Eine Zeitlang schaffte sie es, an gar nichts zu
denken, abzuschalten, Kraft und Hoffnung zu tanken. Sie nahm das andächtige
Schweigen in sich auf und genoss die Stille. Sie tauchte ein in das intensive
Gefühl des Beschützseins, das die riesige, in dämmriges Licht getauchte
Basilika ihr gab und spürte, dass sie tatsächlich einigermaßen zur Ruhe kam.
    Dann
raffte sie sich schließlich widerstrebend auf. Es wurde Zeit.
    Zeit,
dem Grauen wieder in die Augen zu sehen, dem sie hier für ein paar flüchtige
Momente entronnen war.
    Zehn
Minuten später trat sie aus der Seitenstraße auf die zentrale Piazza mit dem
Wasserlauf darum und dem Springbrunnen in der Mitte, und hielt Ausschau nach
Ettore und der Limousine. Sein Lichtzeichen zeigte ihr, wo er geparkt hatte,
und als sie die Straße überquerte, hatte er bereits den Motor angelassen und
fuhr ihr entgegen.
    Als
hätte er ihre verschlossene Miene richtig gelesen, richtete er außer der
Begrüßung kein Wort an sie. Emma registrierte es dankbar. Noch immer waren ihre
Gedanken weit

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