Emmas Geheimnis: Roman (German Edition)
ich ihm.
»Dann dreh die Zeit zurück«, sagte er, und ich sah ihn verständnislos an. »Ja, los, lass sie uns gemeinsam zurückdrehen. Du bestimmst, wohin die Reise geht, und ich komme widerspruchslos überallhin mit. Was ist? Möchtest du mich nicht deiner Großmutter vorstellen?«
»Findest du das etwa passend, sich an einem Tag wie diesem über mich lustig zu machen?« Ich stand kopfschüttelnd auf. Doch bevor ich weggehen konnte, hatte er nach meinem Arm gegriffen. Ich schüttelte ihn ab und ging weiter.
»Warte!«, rief er mir nach. »Du hast mich falsch verstanden!«
»Ach ja?«
»Ich wollte nur, dass du mir von ihr erzählst.« Er lief mir quer über den Friedhof hinterher. »Ich sehe doch, wie traurig du bist. Und … ich dachte, vielleicht hilft es dir, wenn du dich daran erinnerst, wie schön die Zeit mit ihr war.«
Ich schwieg und wartete ab, was er noch zu sagen hatte.
»Na ja, und deshalb … Also, dafür könntest du doch mit mir auf eine Art Zeitreise gehen.«
Ich drehte mich zu ihm um und schaute wieder in seine grünen Augen in dem sonnengebräunten Gesicht. Er sah ernsthaft erschüttert aus. Ich nickte langsam und ging zurück zur Mauer, wo seine Tüten standen.
»Also gut. Aber erst … Wie heißt du eigentlich?«
Er setzte sich wieder neben mich. »Brian Richardson.«
»Brian Richardson aus Kinsale.«
»Dublin. Ich bin gerade auf Elternbesuch.«
»Und deine Eltern sitzen zu Hause und warten darauf, dass du ihnen etwas zum Abendessen bringst?« Ich zeigte auf seine Einkäufe.
»Meine Eltern sitzen zu Hause und warten darauf, dass ich mir selbst Essen besorge, weil sie nie etwas im Haus haben, das ich mag. Sie ernähren sich nur von Toast, Baked Beans aus der Dose und Tee. Kommt mir jedenfalls so vor.« Er lächelte, und ich war überrascht von der Wärme, die aus seinem Blick sprach. Er hatte etwas Tröstliches. »Wie heißt du?«
»Kate Riley.«
»Kate Riley aus Cork.«
Ich nickte. »In Kinsale werde ich jetzt nicht mehr so oft …« Und die Tränen kamen wieder.
Brian räusperte sich, vielleicht weil er nicht wusste, wie er reagieren solle. Doch dann sagte er: »Ich weiß. Du brauchst eine kleine Stärkung. Etwas für den Blutzuckerspiegel.« Er griff in eine seiner Tüten und hielt mir eine Dose Cola hin. »Ich hätte außerdem noch ein bisschen Salat im Angebot. Käse, Milch, Zwiebeln, Tomaten, was für eine Mischung. Warte mal, was hab ich denn da gekauft … Ah, Knäckebrot. In Dublin esse ich nie Knäckebrot. Nur bei meinen Eltern. Äpfel sind hier noch … War schon irgendwas dabei, das dich überzeugt hat?«
Jetzt musste ich lachen. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen und sah ihn neugierig an. »Du musst dich ganz schön langweilen, wenn du lieber einer Fremden beim Heulen zusiehst, als nach Hause zu gehen.«
»Du hast mich durchschaut«, sagte er. »Es ist der langweiligste Ort auf der ganzen Welt. Deshalb musst du mich retten. Erzählst du mir was Schönes von deiner Großmutter?«
Ich zögerte.
»Weißt du«, fuhr er eifrig fort, »ich denke immer, wenn ich mal tot bin, dann will ich nicht, dass alle herumstehen und weinen. Sie sollen an die guten Zeiten denken und daran, wie viel Spaß sie mit mir hatten, und sich darüber freuen! Würdest du denn wollen, dass alle deinetwegen heulen und unglücklich sind?«
»Ich hab noch nie darüber nachgedacht.«
»Glaub mir. Das willst du nicht. Würde es deine Großmutter wollen?«
Jetzt lächelte ich. »Wohl nicht.«
»Dann mal los.«
Und ja, es funktionierte: Ich redete und redete, bis die Luft kühler und das Licht wärmer geworden waren. Die ganze schöne Zeit, die ich bei Margaret in Kinsale verbracht hatte, kam zurück und versöhnte mich ein wenig mit dem Schicksal. Ich dachte, was für ein gutes Leben sie gehabt hatte, und ich war dankbar, dass sie vor ihrem Tod nicht leiden musste. Wir, die wir zurückbleiben, spüren den Schmerz des Verlustes, aber die Toten haben Ruhe und Frieden. Wir beweinen, was sie alles verpassen, und wir beweinen, was wir mit ihnen versäumt haben, als noch Zeit gewesen wäre. Über all das sprach ich mit Brian, als kannten wir uns schon seit Ewigkeiten. Die Welt um uns herum schien zu versinken. Obwohl die Kirche im Zentrum von Kinsale lag, hatte ich das Gefühl, weit weg auf einer einsamen Insel zu sein. Dann bemerkte ich, dass er einen verstohlenen Blick auf die Kirchturmuhr warf: Fast zwei Stunden waren vergangen.
»Entschuldige, ich hab dich schon viel zu lange aufgehalte
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