Emmas Story
anziehen. Nein, manikürte Nägel hätten wirklich nicht zu Lu gepasst, und so bin ich von den kleinen Dreckrändern nicht irritiert. Aber ich starre dennoch auf ihre Hand. Ich starre auf den Ring, den sie dort am Ringfinger trägt.
»Und innen?«, fragt sie.
»Wie?«, stammele ich.
»Das Appartement. Wie sah es innen aus?« Lu schmunzelt.
»Hübsch«, erwidere ich. Mein Blick huscht immer wieder zu ihrer Hand. »Sehr individuell. Mit einer Empore, auf die du das Bett stellen kannst und dann einen tollen Ausblick über den Güterbahnhof hast.«
»Geil«, sagt Lu, und ich kann Gott sei Dank ein Zusammenzucken verhindern. Geil! Also wirklich! Sie drückt sich aus wie ein Erstsemester.
»Das ist ja vielleicht mal ein cooles Hobby. Da möchte ich am liebsten gleich mitmachen.«
Oh, nein! So war das früher auch. Lu wollte immer bei allem mitmachen. So aufgeschlossen und vielseitig interessiert wie sie war, konnte keine noch so verrückte Freizeitgestaltung sie abschrecken. Sie war die perfekte Nachmittagsfreundin für alles, was mir zu tun einfiel. Es gab kein langweilig oder ausgeflippt und auch kein zu gefährlich für sie.
»Ja, es scheint ansteckend zu sein«, bemerke ich, wohlweislich ohne eine Einladung zum Mit-Besichtigen auszusprechen. »Armin fand meine neue Beschäftigung anfangs etwas seltsam. Aber inzwischen zieht er voll mit. Zum Beispiel auch in eurem Haus.«
Lu dreht ihr Glas. »Wirklich? Der Termin bei Daniel und Gregor war auch so was? Seht ihr euch die Wohnungen denn immer zweimal an?«
»Nein, nie.«
Lu runzelt die Stirn. »Achim war aber irgendwann die Woche noch mal da. Bin ihm wieder im Hausflur begegnet. Ich dachte, dass er den Vertrag unterschreibt.«
»Armin«, korrigiere ich.
Er war persönlich dort, um das Zimmer abzusagen? Seltsam. Hat er nicht erzählt, dass er mit Daniel telefoniert hat?
Wir sitzen eine Weile stumm voreinander.
Siebzehn Jahre haben wir uns nicht gesehen, nachdem wir lange Zeit jeden Tag nebeneinander in der Schule gesessen, Nachmittage gemeinsam verbracht, erste Partys und Konzerte besucht, Zigaretten ausprobiert und Alkohol getestet haben.
Siebzehn Jahre Leben.
Und hier sitzen wir nun und schweigen.
Bis mir irgendwann auffällt, dass ich schon ein bisschen über mich erzählt habe, aber noch gar nichts über die letzten eineinhalb Jahrzehnte in Lus Leben weiß.
Im gleichen Augenblick, in dem mir dieser Gedanke kommt, spüre ich eine Aversion dagegen, sie nach all dem zu fragen.
Weil ich weiß, dass sie lachend und strahlend erzählen wird, wie sie an einer Schauspielschule angenommen wurde und dort ihre Ausbildung machte. Wie ihr Talent gefördert und schließlich aus einem puren Glücksfall von irgendjemand Wichtigem entdeckt wurde. Wie sie nun hier am Schauspielhaus spielt und dort auch ihre große Liebe kennen lernte, die sie wahrscheinlich im letzten Jahr auch geheiratet hat.
Denn das ist es: Sie trägt einen Ehering am Ringfinger ihrer linken Hand.
Und ehrlich gesagt, will ich über die Geschichte rund um diesen Ring am allerwenigsten wissen.
Allerdings wird es mit jeder Minute, die in Stille zwischen uns verstreicht, schwieriger, nichts zu sagen.
Wir saugen beide an unseren Strohhalmen.
Unsere Orgasmen nähern sich der Neige. Bei meinem schwimmt nur noch ein bisschen Sahneschaum auf dem Glasboden.
Schließlich hebe ich die Hand Richtung Theke und rufe Natascha zu: »Bringst du uns bitte noch mal dasselbe?«, und zu Lu sage ich: »Ich lad dich auf einen ein.«
Sie lächelt mich an. Doch in ihre offene Miene hat sich etwas wie Unsicherheit geschlichen.
Schlagartig überfällt mich ein schlechtes Gewissen. Ich bin einfach furchtbar unhöflich. Das kann ich nicht machen!
»Und was hast du so erlebt in der Zwischenzeit?«, erkundige ich mich munter, als hätte ich die ganze Zeit darauf gebrannt, endlich diese Frage stellen zu können. »Womit verbringst du deine Zeit, während ich mir die Wohnungen fremder Menschen ansehe?«
Auf Lus Gesicht zeigt sich genau das Leuchten, das ich befürchtet habe.
Fast möchte ich mir die Finger in die Ohren stecken.
Aber da öffnet sie schon den Mund.
»Ich hab Hunde«, sagt Lu und grinst dabei wie Julia Roberts. Ihr Mund ist fast genauso groß, stelle ich gerade fest. Meine Güte, war der früher auch schon so groß?
Rasch sehe ich fort.
Und da sträuben sich mir plötzlich die Nackenhaare.
Ach du Schande! Hannelore!
Meine beste Freundin ist gerade im Anmarsch.
Soeben hat sich die Eingangstür hinter
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