Emmas Story
sie das Wort aber mit einem sehr raschen, kaum wahrnehmbaren Seitenblick in Richtung Theke. Genauer gesagt in Richtung Cappuccinomaschine.
Meine Fingerspitzen kribbeln.
Im Grunde ist der Gedanke so absurd, dass es nicht lohnt, ihn überhaupt zu denken.
Vorsichtshalber beschließe ich, alle Zweifel auszuräumen. »Echt? Eine Freundin von dir?«
Wir befinden uns im luftleeren Raum. Wohl eher im Gender-leeren Raum. Allein die Tatsache, dass sie in letzter Zeit immer öfter im Yellow verkehrt, heißt noch lange nicht, dass sie was mit Frauen hat.
Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie was mit Frauen hat.
Früher war sie zwei, dreimal in Jungs verschossen – auch wenn sie keinen Freund hatte, was bei uns auf dem Dorf aber ziemlich normal war. Ich lief auch irgendwelchen tollen Typen hinterher, ohne je eine feste Beziehung daraus zu machen. Ja, was das anging, hielten wir es ganz ähnlich.
Also? Was tut sie ausgerechnet hier? Nun, das Theater liegt nicht weit entfernt. Vielleicht ist sie tatsächlich Schauspielerin geworden, wie sie es früher immer gewollt hatte. Vielleicht schneit sie deshalb hin und wieder hier herein. Das Ambiente ist sehr nett. Du musst nicht schwul oder lesbisch sein, um dich hier wohl zu fühlen. Es hängen oft Leute von der Bühne hier herum.
»Nein, keine Freundin«, erwidert Lu und schweigt dann, geheimnisvoll lächelnd.
Absurd!
Vollkommen verrückt dieser Gedanke.
Wie kann ich auch nur eine Sekunde lang annehmen …
Ich hätte sie erkannt. Ich hätte ihren Stil erkannt. Außerdem hätte sie niemals diese Worte benutzt. Lu konnte nie richtig gut mit Sprache umgehen. Jedenfalls nicht mit der deutschen. Wie sollte sie es also schaffen, mit wenigen Zeilen eine Liebhaberin der Wörter – nämlich mich – in ihren Bann zu ziehen?
»Und du?«, kontert Lu mit einer Gegenfrage. »Bist du mit einer Freundin verabredet? Oder bist du nur mal so auf einen kleinen …« Sie sieht auf mein Getränk. »… Höhepunkt … vorbeigekommen?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich bin zwar verabredet, aber …«
Und da kann ich plötzlich nicht mehr anders. Es ist, als würden meine Augen sich selbstständig machen und sich von meinem lesbenklaren Verstand lösen. Denn auch mein Blick huscht rasch hinüber zum vereinbarten Treffpunkt.
Das ist der Moment, in dem Lu begreift.
Ich kann es spüren.
Viel zu lange haben wir in der Schule nebeneinander gesessen und Nachmittage miteinander verbracht. Egal, wie viele Jahre inzwischen vergangen sind, wir kennen einander noch. Wir können uns noch genauso gut lesen wie damals. Oh Gott! Dieser Gedanke treibt mir Gänsehaut über die Arme bis hinauf auf die Schultern.
Sie weiß es.
Sie weiß es genauso wie ich es weiß: Lu ist die Sandstrandpiratin, die eine Kontaktanzeige aufgegeben hat, und ich bin diejenige, die darauf geantwortet hat.
Au shit!
»Das gibt’s ja nicht!«, flüstert Lu und starrt mich fasziniert an.
Ich will gerade angenehm überrascht und erleichtert sein, weil sie nicht laut und überschäumend reagiert, als sie den Mund öffnet und ihm ein Quieker entfährt, der alle Gäste verblüfft in unsere Richtung schauen lässt.
»Emma! Das ist doch irre! So was gibt’s doch sonst nur in Filmen oder Büchern oder … Ist das nicht einfach grannios?«, kreischt sie und strahlt übers ganze Gesicht.
»Grandios«, korrigiere ich leise und sehe mich unauffällig um. Von überall sind Augenpaare auf uns gerichtet. Und ganz sicher auch Ohrmuscheln. »Ja, ist es.«
»Du hast die beste Antwort von allen geschrieben!«, erläutert sie, was ich eigentlich gar nicht wissen will, alle um uns herum aber sicherlich brennend interessiert. »Die war so mutig. So waghalsig, risikobereit und … einfach cool.«
›Einfach cool‹? Na, toll.
Ich habe eine einfach coole Antwort auf die Kontaktanzeige meiner ehemalig ärgsten Feindin geschrieben!
»Schön, dass sie dir gefallen hat«, brumme ich verhalten und deute auf einen kleinen freien Tisch am Ende des Raumes. »Wie wäre es, wenn wir uns setzen und uns in Ruhe unterhalten?«
Lu hebt die Brauen, schaut sich um, im Umfeld werden hektisch Blicke gesenkt, es wird in Kaffees und Mixgetränken gerührt und unterbrochene Gespräche werden wieder aufgenommen. »Klar«, sagt Lu dann und nimmt im Vorbeigehen ihr Getränk mit, das Natascha gerade auf die Theke stellt. »Den brauch ich jetzt!«, kommentiert Lu an sie gewandt. Gott sei Dank sagt sie aber nicht mehr.
Während ich ihr die wenigen Meter
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