Emmas Story
Tisch zu werfen, um ihn zu retten. Sie reicht ihn galant an Hannelore zurück mit einer Miene, die besagt, dass sie bereit wäre, noch einiges mehr für die große Schauspielerin zu tun.
»Lu?«, überlegt Hannelore und sieht nachdenklich auf den Schal, den sie aus der olivfarbenen Hand entgegennimmt. Ich hoffe, dass sie sich unter Kontrolle hat, sollte ihr tatsächlich einfallen, in welch düsteren Zusammenhängen ich diesen Namen hin und wieder mal erwähnt habe.
»Wir waren Freundinnen, seit wir zwölf waren«, versucht Lu ihr nachzuhelfen. Ich wette, nichts könnte Hannelore jetzt mehr verwirren als diese Aussage. Denn das war gewiss nicht das, was sie von mir zum Thema Lu stets zu hören bekommen hat.
Aber plötzlich blitzt es in ihren Augen, und kleine elektrostatische Pfeile scheinen daraus abgefeuert zu werden.
»Ah, ja … mir dämmert es«, murmelt sie und hüstelt in ihre hohle Hand.
»Ja, stell dir vor«, plappere ich rasch los. »Wir haben uns zufällig letzte Woche in einem Hausflur getroffen, als Armin und ich auf Tour waren. In den grünen Häusern bei der Elisabethkirche. Wir hatten beide keine Ahnung, dass wir jetzt in der gleichen Stadt leben. Da haben wir ganz schön gestaunt, was?«
Lu nickt und wirkt immer noch ein bisschen wie hypnotisiert.
»Und jetzt habt ihr euch hier verabredet, um ein bisschen über die alten Zeiten zu plaudern? Das ist ja eine nette Idee!«, bemerkt Hannelore mit Adlerblick. Ich hoffe, dass nur mir ihr spitzzüngiger Unterton auffällt.
Ich werfe Lu einen raschen Blick zu.
Jetzt werde ich mich wohl outen müssen. Ich werde zugeben müssen, dass ich mir nicht zu schade war, Kontaktanzeigen zu lesen und – was natürlich ungleich schlimmer ist – auf eine zu antworten.
»Na ja, also, eigentlich haben wir uns nach unserer zufälligen Begegnung nicht verabredet«, beginne ich stockend. »Um ehrlich zu sein …«
Aber Lu fällt mir ins Wort. »Um ehrlich zu sein, sind wir noch gar nicht richtig ins Plaudern gekommen. Offenbar haben wir beide einen kleinen Schock, weil wir uns nach dieser langen Zeit wiedergetroffen haben.«
Ich sehe sie verwundert an.
Aber sie lächelt nur unverwandt in Hannelores Richtung.
Deren Antennen sind so weit ausgefahren, dass ich sie förmlich hin und her schwenken sehen kann. Offenbar kann sie aber nicht genau orten, was zwischen Lu und mir gerade abgeht. Etliche ihrer Falten, die sie alle mit Würde trägt, sind in ihrem Gesicht für die Mimik Neugierde reserviert. Und die sind gerade extrem aktiv.
Das war sehr anständig von Lu, muss ich zugeben.
Sie hat mich regelrecht davor gerettet, mich selbst zu entblößen.
Wirklich hoch anständig.
»Na, dann will ich euch nicht länger stören und mir jetzt lieber ein eigenes Eckchen suchen«, meint Hannelore und wendet sich ausschließlich an mich, »Heute Morgen habe ich übrigens zufällig Frauke in der Stadt getroffen. Ich soll dir einen schönen Gruß ausrichten und dir bestellen, dass sie morgen Abend auf der Party im Bahnhof ist und sich freuen würde, dich zu sehen.«
Hannelores Stimme klingt völlig neutral.
Trotzdem schießt mir das Blut ins Gesicht, und ich weiß einen Moment nicht, was ich antworten soll.
Als mir dann endlich ein paar belanglose Worte einfallen, ist es natürlich schon längst geschehen. Lu mustert mich nachdenklich.
Wenn sie mich jetzt fragt, wer Frauke ist …
Aber sie fragt nicht.
»Du kommst doch auch bestimmt mit, jetzt wo ihr euch wiederentdeckt habt, oder?«, bemerkt Hannelore an Lu gewandt mit einem reizenden Lächeln.
Siebzig Jahre weises Lebensalter und Respekt vor dem Alter hin oder her. Ich würde meiner besten Freundin in diesem Augenblick gern den Hals rumdrehen.
»Komme ich mit?«, erwidert Lu etwas zögerlich. Ihre impulsive Art scheint seit Hannelores Auftritt wie weggeblasen. Sie sieht mich ratlos an.
»Ja klar kommst du mit!«, lächele ich.
Nachdem Lu mich gerade vor der gefürchteten Blamage gerettet hat, kann ich ihr das doch unmöglich abschlagen.
»Ich würde mich freuen«, setze ich noch hinzu und komme mir schrecklich verlogen vor.
5. Kapitel
»4 Zimmer, exklusives Dachgeschoss, große Dachterrasse, Parkett, Küche mit Terrakotta-Fliesen, Dachbalken freischwebend im Giebel sichtbar, Kaminofen, großes Bad, keine Kleinkinder, keine Haustiere.«
K eine Ahnung, wie es dazu gekommen ist.
Wir haben über so vieles gesprochen.
Zugegebenermaßen habe ich mich streckenweise auch amüsiert. Hin und wieder schaffte Lu es
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