Emmas Story
klaren Gedanken fassen zu müssen. »Wie wäre es, wenn wir uns gleich treffen. Wir besichtigen zusammen eine Dachgeschosswohnung auf der Königsallee, und danach machen wir einen langen, gemütlichen Spaziergang um den See. Dafür brauchen wir bestimmt drei Stunden. Und danach stärken wir uns bei einem leckeren Essen. Was hältst du davon?«
Armin schweigt einen Augenblick. Er wägt ab. Die Wohnung lockt ihn. Aber der Gedanke an den Spaziergang, drei Stunden lang die Gelegenheit zu haben, mit mir über seinen Schmerz und die Trauer zu sprechen, versetzt ihn bestimmt in Panik. Andererseits weiß er genau, dass ich seine hektische Betriebsamkeit durchschaue und auf keinen Fall mitmachen werde.
»O. k.«, sagt er schließlich. »Holst du mich ab?«
* * *
Wir wandern leise und ohne viel zu sprechen durch die leeren Räume.
Der Vermieter lässt uns in Ruhe. Er preist nichts an. Er will nichts wissen. Gelassen steht er an einem der runden Fenster, aus denen man über die Stadt sehen kann wie aus einem Nest mit Bullaugen.
Er weiß, dass seine Wohnung überzeugend ist.
Der Holzboden, der unter den Schritten in den Zimmern hallt. Der Ausblick ins helle Frühlingsblau mit den grünen Sprenkeln der Platanenkronen. Das Licht wie über den Wolken.
Ebenso leise wie wir durch die Räume gegangen sind, verabschieden wir uns nach unserem Rundgang.
Der Mann weiß, dass wir die Wohnung nicht nehmen werden und fragt nicht nach.
Armin und ich lassen kein Wort mehr über dieses schöne Zuhause fallen. Aber es schwingt noch eine ganze Weile in uns, dieses Leere mit dem weiten Blick.
Es wird ein schöner Tag zwischen uns.
Nicht nur, weil die Maisonne aus vollen Kräften lacht und wir uns beim Umrunden des Sees beide einen kleinen Sonnenbrand auf der Nase holen. Nicht nur, weil die Wärme und das Licht uns beiden die Dunkelheit aus den Knochen treibt.
Sondern auch, weil wir über uns reden.
Auch unter Freunden ist das nicht an der Tagesordnung.
Wirklich über sich zu reden, das ist etwas Besonderes. Zu sagen, was hinter allem Schein und manchmal auch hinter einem Lachen steckt, lässt uns sehr nah zueinander rücken.
Natürlich sprechen wir viel über Rolf und ob Armin mit ihm eine Zukunft haben kann.
Als wir darüber lange genug gesprochen haben, sodass es für meinen Freund gerade nicht mehr auszuhalten ist, reden wir auch über anderes.
Über Frauke zum Beispiel.
Und da bekomme nun ich schwitzige Hände.
Ihre morgendlichen spontanen Besuche, unsere wahnwitzig krampfigen Umarmungen, ihre über Hannelore ausgerichteten Grüße und der Wunsch, mich am Abend zu sehen.
Was nur soll ich damit machen?
Ich weiß ja, dass sie mit Antonie glücklich ist. Mir ist vollkommen klar, dass all diese Dinge zwar bedeuten, dass ihr etwas an mir liegt, aber nicht dass ihre Gefühle in die gleiche Richtung streben wie meine.
Da die Richtung, in die meine Gefühle rennen, unser Gespräch derart vereinnahmt, vergesse ich ganz, von Lu zu erzählen.
Und so setze ich Armin am späten Nachmittag bei Hannelore ab, ohne auch nur erwähnt zu haben, dass ich auf eine Kontaktanzeige geantwortet habe, dass Lu dahinter steckte und dass ich gestern mit ihr einen streckenweise wirklich amüsanten Abend verbracht habe.
Als mir mein Versäumnis auffällt, und das tut es quasi schlagartig, als Armin winkend in Hannelores Haus verschwunden ist, wundere ich mich zugegebenermaßen schon einen Augenblick.
Schließlich können wir doch sonst kaum unsere Klatschader bremsen und erzählen uns sofort, wenn es interessante Neuigkeiten gibt.
Nur als ich damals Frauke kennen lernte, habe ich das nicht getan.
Diese Entwicklung habe ich für mich behalten und zu niemandem darüber gesprochen, weil es einfach zu … intim war. Ich wollte nicht, dass Armin sich mit großen Augen darauf stürzt oder dass Hannelore eine ganz ähnliche Geschichte vor kurzem noch in der Gala gelesen hat.
Ach, Frauke. Wahrscheinlich hatte mich das Reden über sie wieder so aus der Fassung gebracht, dass ich an gar nichts anderes denken konnte.
Und, mal ehrlich, so wichtig ist Lu nun wirklich nicht.
* * *
Eigentlich will ich bis zum Abend noch ein bisschen an meiner Doktorarbeit schreiben.
Ich habe die letzten Tage viel vorgearbeitet und könnte jetzt, mit etwas Schmiss, ein paar Seiten flüssig runtertippen.
Leider klappt es aber nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.
Meine Gedanken schweifen ständig ab.
Armin sollte seinem Rolf endlich den Laufpass geben.
Ich sollte
Weitere Kostenlose Bücher