Emmas Story
Geschichte, die sich zwischen Frauke und Antonie und mir entwickelt hat. Ich sollte ihr nicht solche Dinge sagen.
»Hast du – unabhängig von deiner Gabriella, die ja nicht wirklich deine Partnerin ist – also, hast du eine Beziehung?«, frage ich Lu.
Sie schüttelt den Kopf. Dann macht sie den Arm lang, greift nach etwas und pellt ein neues Stöckchen aus seiner Rinde. Es ist noch frisch und der würzige Baumgeruch steigt zwischen uns auf.
»Verrückt«, sagt sie. »Dass ausgerechnet du nicht diejenige bekommen hast, die du willst.«
Ich erwidere darauf nichts.
»Früher war es jedenfalls immer so, dass du bekommen hast, wen du wolltest. Du brauchtest doch nur mit dem kleinen Finger zu wedeln, und schon fielen die Jungs reihenweise um.«
»Vielleicht liegt es daran, dass Frauke kein Junge ist«, versuche ich einen Scherz.
Lu reckt sich. »Au Mann! Ich glaube, Kasper hat dahinten einen Kaninchenbau entdeckt. Das kann ins Auge gehen, wenn er sich zu tief gräbt. Einmal musste ich ihn ausgraben.« Angestrengt starrt sie den Hang hinunter und beobachtet das eifrig hopsende Hinterteil ihres Hundes, um das herum in wilden Eruptionen Fontänen von Dreck fliegen.
Ich weiß nicht, was mich dazu hinreißt. Aber ehe ich noch einen klaren Gedanken fassen kann, habe ich es schon gesagt: »Lu, kannst du dir vorstellen, dass ein Haus am anderen Ende der Stadt dich ruft?«
»Emma«, sagt sie und sieht mich kurz auf diese Weise an, die deutlich sagt, dass ich mich ihrer Meinung nach in eine spinnerte Idee verrannt habe. Ich wende den Blick ab und starre in die andere Richtung in den Wald hinein, als hätte ich dort etwas höchst Interessantes entdeckt.
Lu fährt fort: »Erstens: Ein Haus kann nicht sprechen! Zweitens: Erst recht nicht zu einer bestimmten Person. Drittens: Schon gar nicht über mehrere Kilometer hinweg.«
›Und wenn doch?‹, denke ich.
»Lu, wieso hast du mir nicht im Yellow schon gesagt, dass du lesbisch bist?«, frage ich.
Doch als ich jetzt aufsehe, ist sie bereits aufgesprungen und den Hang hinunterschliddernd unterwegs zu dem mittlerweile kriegerisch grabenden Kasper. Wahrscheinlich hat sie gar nicht gehört, was ich gesagt habe.
8. Kapitel
»Nachmieter für individuelles Wohnen! Ökolog. Holzhaus, Strom-Selbstvers. durch Solaranl., Ferienbetreuung von Freigangkatzen erwünscht.«
I ch weiß nicht, wie mir jemals die Idee kommen konnte, dass es eine spaßige Sache sein würde, den Doktortitel zu erlangen.
Für ein ganzes Jahr auf mein volles Gehalt als Dozentin zu verzichten und stattdessen diese halbe Stelle zu bekleiden, bei der es mehr oder weniger darum geht, den Unterricht der anderen mit vorzubereiten. Ich vermisse meine eigenen Stunden, die StudentInnen, ihre Fragen, ihren Eifer, ihre Wissbegier, die Aufregung der Erstsemester, die zur Schau gestellte Lässigkeit der Zweitsemester. Ich vermisse es, Gesichtern aus den Seminaren in der Cafeteria zu begegnen, ihnen zuzunicken und ihren Stimmen und Gesprächen zu lauschen. Mein normaler Arbeitsalltag kommt mir mittlerweile verlockend vor, denn jetzt hocke ich morgens in einem unpersönlichen No-Name-Büro an der Uni, lese, recherchiere, stelle zusammen, kopiere, arbeite rein theoretisch. Nachmittags hocke ich dann hier zu Hause an meinem schönen Schreibtisch. Aber auch hier lese und recherchiere ich, stelle ich zusammen und arbeite rein theoretisch.
Anfangs war ich noch mit Feuereifer dabei. Ich dachte, nichts sei wichtiger als meine Forschungsarbeit und meine wissenschaftliche Meinung.
Jetzt frage ich mich: Wen interessiert eigentlich die Darstellung von Moral und Ethik in den Briefen, die sich die wenig bekannte deutschfranzösische Schriftstellerin Madelein Chapel und der Dichter Egon Goldmann Anfang des letzten Jahrhunderts schrieben?
An Tagen wie diesem interessiere nicht einmal ich mich dafür. Und manchmal wird es über diesem Frust schon Abend, bevor ich der Arbeit auch nur einen vernünftigen Satz hinzugefügt habe – so wie heute.
Statt sich brav über die Wertevorstellungen von Menschen herzumachen, die schon lange tot sind, fliegen meine Gedanken hierhin und dorthin.
Nirgends wollen sie sich lange aufhalten, bei Wichtigem schon gar nicht. Nebensächliches wird plötzlich zum Lebensmittelpunkt. Mal scheint es furchtbar wichtig, die Fenster zu putzen. Dann wieder lässt sich das Fingernägelfeilen unmöglich aufschieben. Ich schleppe nacheinander eine Tasse Tee, dann Salzgebäck, dann Schokolade, dann eine Kiwi und
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