Emmas Story
doch nie auf die Idee gekommen. Nie wäre mir der Gedanke gekommen. Nie im Leben hätte ich vermutet.
Als ich unmöglich noch einmal einen Satz in dieser Art denken kann, räuspere ich mich.
»Und ihr habt diese Geschichte gemacht von wegen Verpartnerung vor dem Standesamt und so?«
»Ja«, sagt sie ganz einfach und sieht mich dabei zögernd an. »Aber sie ist nicht wirklich meine Partnerin.«
»Wie?«
»Na ja, sie ist nicht richtig meine Partnerin. Verstehst du?«
»Nein«, antworte ich ehrlich. »Habt ihr geheiratet, ich meine, seid ihr nun diese gesetzlich abgesegnete Lebensgemeinschaft eingegangen, ja oder nein?«
»Doch.« Sie ringt die Hände. »Doch haben wir.«
»Sind wir«, korrigiere ich.
»Was?«, macht sie verwirrt.
»Ach, egal!«, winke ich ab. »Aber wie kann Gabriella dann nicht deine wirkliche Partnerin sein?«
»Sie ist Brasilianerin.«
Ich erinnere mich an die Frau von der Party nicht mehr in allen Details, aber eines weiß ich genau: Sie sah bestimmt nicht aus wie eine Brasilianerin.
»Du machst Witze! Die ist doch keine Brasilianerin. Ich meine, sie sieht doch vollkommen anders aus als du … Sie sieht eher aus wie eine Schwedin oder eben wie eine ordentliche, blonde Deutsche.«
Lu räuspert sich. »Emma, du bist eine kluge Frau. Aber alles weißt du offenbar auch nicht. Im Süden von Brasilien ist es eben anders. Da leben nicht so viele dunkelhäutige Menschen wie in der Gegend, aus der ich komme. Im Süden sieht es eher wie in Europa aus, was die Menschen angeht. Ich hab Gabriella vor ein paar Jahren getroffen, als ich durch das Land gereist bin. Weißt du, sie ist schon in Deutschland gewesen. Hat bisschen schwarz gearbeitet, fühlte sich viel mehr wohl hier als in Brasil. Am liebsten wollte sie hier bleiben. Irgendwie sollte doch jeder da sein dürfen, wo sie will, oder? Aber ging ja nicht, weil sie kein Aufenthaltsrecht hatte. Und da hab ich gesagt, lass uns doch heiraten. Dann ist das alles geregelt.«
Ich schnappe nach Luft.
»Das ist ja … Wahnsinn! Ich meine, du heiratest einfach mal eben so. Du gehst all die Verpflichtungen und so ein für eine Frau, die du kaum kennst. Nur weil sie hier in Deutschland leben will, und ohne dass ihr wirklich miteinander lebt, keine Beziehung hattet, nie Sex und all das?«
Sie zögert. » Nie würde ich nicht sagen.«
»Wie würdest du es denn sagen?«, seufze ich.
»Vielleicht hatten wir mal Sex. Aber es war eher ein Versuch. Herrjeh, na und?«
»Meine Güte, Lu«, keuche ich atemlos. »Du sammelst ja wirklich alles. Sogar Ehefrauen!«
»Stimmt nicht«, erwidert sie. »Davon habe ich nur eine. Das kannst du nicht Sammeln nennen.«
»Du warst also da, in deiner Heimat?«, will ich wissen. Das hat sie sich als Kind immer gewünscht: Die Ferien in Brasilien zu verbringen. Aber ihre Eltern fuhren mit ihr in andere Länder, um Urlaub zu machen. Nach Frankreich oder Spanien oder England, nach Korfu, Kreta, Zypern. Lu wusste nicht, wieso sie es so regelten.
Schlagartig erinnere ich mich an ein Gespräch, das meine Mutter eines Abends mit ihrer Mutter führte und in dem es um dieses Thema ging. Da hieß es übereinstimmend, dass es nicht gut sei für Lu, so rasch wieder in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Sie müsse sich mit Deutschland identifizieren. Sie müsse ein Gefühl für ihr Zuhause bekommen. Ich habe Lu damals nichts von dieser belauschten Unterhaltung erzählt. Ich fand es einfach widerlich, wie viel Aufmerksamkeit und welch komplizierte Gedanken sich um Lu und ihr Zuhause-Gefühl drehten. Niemand, wirklich keine Menschenseele machte sich Gedanken darum, wo ich mich daheim fühlte. Bei mir wurde selbstverständlich vorausgesetzt, dass ich nirgends anders leben wollte als nur in unserem mickrigen kleinen Dorf. Wenn ich von Fernweh sprach, wurde ich nur belächelt. Doch wenn Lu ein Poster von einem brasilianisch anmutenden, weißen Sandstrand über ihrem Bett aufhängte, wurde augenblicklich der nationale Notstand ausgerufen.
Für mich war klar: Natürlich fühlte sich Lu in Deutschland zu Hause. Aber wenn sie Urlaub in Brasilien machen wollte, wieso denn nicht? Schließlich hatte sie die ersten zehn Jahre ihres Lebens dort gelebt. Was kein Grund war, schlechtes Deutsch zu sprechen, aber durchaus ein Grund sein mochte, um Heimweh zu haben.
»Oh ja, mehrmals. Ich habe mir das ganze Land angesehen. Vom nördlichsten Zipfel bis zum Süden hinunter. Ich war überall, wo es schön ist, und auch überall, wo es grässlich
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