Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen
modernerer Text, in dem die Sehnsucht lebendig und personifiziert wird, ist Der kleine Prinz von Antoine de Saint Exupéry. Der kleine Prinz, der von einem fernen Planeten stammt und überall auf Erkenntnis- und Sinnsuche ist, entspricht der Sehnsucht des Ich-Erzählers, der mit seinem Flugzeug in der Wüste abgestürzt ist, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Sehnsucht wird hier mit der Einsicht verknüpft, dass ein Sichverlieren in der Sehnsucht sinnlos ist. Und am Ende steht ein Verzicht: der Abschied des kleinen Prinzen.
Orte der Sehnsucht liegen oftmals in der Ferne (Paradiese) oder sind mit der Suche nach den eigenen Wurzeln verbunden. Ein solches emotionsbeladenes Motiv ist die Heimat als räumliche Einheit, mit der der Mensch besondere Verbundenheit und Zugehörigkeit empfindet. Heimat wird meist als der Ort verstanden, an dem der Mensch lange Zeit gelebt hat, oder als Ursprungsort, dem der Mensch entstammt. Die Heimat hat ihn geprägt, Sprache und Regeln des Zusammenlebens sind ihm vertraut. Für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung bleibt die Heimat, die sie verlassen haben, oft das Ziel ihrer Sehnsüchte. Der Verlust der Heimat und die damit verbundene Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit ist sowohl in der Nachkriegs- als auch in der Migrationsliteratur ein häufiges Thema. Viele Werke deutschsprachiger Autoren aus Migrationsländern thematisieren die verlorene Heimat als zwiespältige Idylle. Als einen Ort, den man zwar vermisst, aber an dem man unter den gegebenen Verhältnissen nicht leben möchte. Die »Fremde«, in der sich das weitere Leben abspielt, wird wiederum zum Ausdruck für die Disharmonie und Unvollkommenheit der tatsächlichen Lebenswirklichkeit.
In der Gegenwartsliteratur erscheint Sehnsucht brüchig, Pathos wird meist bewusst vermieden. Die Sehnsucht offenbart sich ungern, Einschränkungen und Ablenkungen unterbrechen immer wieder. Sie erscheint weniger absolut und doch nicht weniger eindringlich als in den klassischen Werken. In dem Roman Der Schwimmer von Zsusza Bánk (2002) sehnt sich ein Mädchen nach seiner Mutter, die 1965 aus Ungarn in den Westen geflohen ist und ihre Familie zurückgelassen hat. »Ich hatte wenige Erinnerungen an meine Mutter. Im Grunde kannte ich sie nur von Fotos, die mein Vater in einem kleinen Kasten aufbewahrte. (…) Ich schaute mir die Bilder häufig an. Es gab Zeiten, in denen ich nichts anderes tat.« Gespiegelt durch die Sicht des Kindes wird erzählt, wie der Vater seine Frau vermisst: »Mein Vater hinterließ seine Fingerabdrücke, und ich wischte sie weg, wenn ich die Fotos aus der Kiste nahm. Ein Bild mochte er besonders. Es zeigte meine Mutter auf dem Feld. Sie hatte Essen in einer Blechkanne dabei. Ihr Kopftuch hatte sie unter dem Kinn zusammengebunden, und ihre freie Hand hielt sie wie einen Schirm über die Augen. Sie trug Sandalen, deren Bänder sie um die Knöchel gebunden hatte. Niemand trug damals Sandalen, schon gar nicht auf dem Feld. Mein Vater gab dieses Bild nicht aus den Händen. Er lag damit auf der Küchenbank, starrte zur Decke und rauchte. Nicht einmal den Hund hörte er dann, der laut vor ihm bellte. Meinen Bruder Isti und mich schaute er an, als seien wir Fremde.«
In diesem Text mischen sich Sehnsucht mit Trauer und Enttäuschung, da die Mutter den Mann und die Kinder verlassen hat und nicht wiederkommen wird. Das Betrachten der Fotos, das liebevolle Erinnern an bestimmte Details, die geistige Abwesenheit des Vaters und die fehlende Aufmerksamkeit für die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung sind Indizien dafür, dass er von seiner Sehnsucht ganz eingenommen ist.
Sehnsucht lässt sich eindeutig und direkt oder beschreibend ausdrücken wie beispielsweise »Er vermisste sie« oder »Warum war er denn immer noch fort?«. In der Literatur wird die Sehnsucht eher indirekt beschrieben.
Fragen Sie sich: Was tut ein Mensch, der Sehnsucht hat? Wie verhält er sich? Er verliert vielleicht den Appetit, verhält sich für seine Umgebung auffällig, versucht seine Sehnsucht zu überspielen. Er geht auf die Suche wie Jeronimo, oder er lebt passiv in einer Traumwelt, in der sich seine Sehnsucht erfüllt.
Anregung
1.Stellen Sie sich vor, ein Mensch, den Sie sehr lieben, ist weit fort. Seine Rückkehr verzögert sich. Schreiben Sie ihm einen Brief.
2.Sammeln Sie Ideen zu dem Stichwort »Heimweh«, bis Ihnen eine überzeugende Situation einfällt – aus Ihrem eigenen Leben oder auch erfunden. Schreiben Sie eine Geschichte
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