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Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Empfindliche Wahrheit (German Edition)

Titel: Empfindliche Wahrheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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wie würde das denn aussehen?«, mahnt die mütterliche Dame in seinem Alter, die ihn – hundert Jahre scheint ihm das her zu sein – in einem roten Backsteinhäuschen nahe Heathrow zusammen mit ihrer schwesterlichen Kollegin für den Part eingekleidet hat. »Mit diesen hübschen eingravierten Initialen auch noch. Sie müssten sagen, Sie hätten sie einem verheirateten Mann geklaut, stimmt’s, Paul?«
    Paul, Sportsmann, der er ist, lacht mit und schaut zu, wie sie auf einen Aufkleber Paul schreibt und seine goldene Uhr zusammen mit dem Ehering in eine Geldkassette einschließt, »bis zur Entwarnung«, wie sie sagt.
    ***
    Wie in drei Teufels Namen bin ich überhaupt in dieser Drecksbude gelandet?
    Bin ich gesprungen, oder bin ich gestoßen worden? Oder eine Mischung aus beidem?
    Schildern Sie bei Ihren nächsten Runden durchs Zimmer möglichst lückenlos, was Sie dazu bringen konnte, Ihren seligen Alltagstrott gegen Einzelhaft auf einem britischen Kolonialfelsen zu vertauschen.
    ***
    »Und wie geht’s Ihrer armen lieben Gattin?«, fragt die hart an der Pensionsgrenze dahinschrammende Eisprinzessin aus der Personalabteilung (oder Human Resources, wie das neuerdings aus unerfindlichen Gründen heißt), nachdem sie ihn ohne ein Wort der Erklärung am Freitagabend, während alle braven Bürger heimwärts eilen, in ihre Gemächer zitiert hat. Die beiden sind alte Gegenspieler. Wenn sie etwas gemeinsam haben, dann das Gefühl, einer aussterbenden Art anzugehören.
    »Danke, Audrey, ganz fabelhaft geht’s ihr«, erwidert er in dem gesucht leichtherzigen Ton, den er bei lebensbedrohlichen Konfrontationen wie dieser anschlägt. »Sie ist mir lieb wie eh und je, aber gottlob nicht mehr arm. Die Remission hält an. Und selber? Alles bestens, hoffe ich doch?«
    »Das heißt, sie braucht Sie nicht unbedingt«, sagt Audrey, ohne auf seine liebenswürdige Nachfrage einzugehen.
    »Das will ich nicht hoffen! Inwiefern?« – er hält das heitere Geplänkel bewusst aufrecht.
    »Insofern, als ich Sie fragen wollte, ob ein paar hochgeheime Auslandstage in sehr bekömmlichem Klima, vier oder allerhöchstens fünf, von irgendeinem Interesse für Sie sein könnten.«
    »Wie der Zufall es will, sogar von beträchtlichem Interesse, danke, Audrey. Unsere erwachsene Tochter wohnt momentan bei uns, von daher könnte es kaum besser passen, zumal unsere Tochter Ärztin ist«, fügt er stolz hinzu, aber Audrey scheint nicht weiter beeindruckt von der Tüchtigkeit seiner Tochter.
    »Ich weiß nicht, worum es geht, und ich brauche es auch nicht zu wissen«, beantwortet sie eine Frage, die er nicht gestellt hat. »Wir haben einen dynamischen jungen Staatsminister eine Etage höher, Quinn heißt er, vielleicht haben Sie ja von ihm gehört? Er möchte Sie sofort sprechen. Er ist ein neuer Besen, falls das noch nicht bis in die Ödenei der Notfalllogistik gedrungen ist, frisch aus dem Verteidigungsministerium zu uns gewechselt – nicht unbedingt eine Empfehlung, ich weiß, aber was will man machen.«
    Was redet sie da für ein Zeug? Natürlich ist das zu ihm durchgedrungen. Er liest schließlich die Zeitung. Er sieht Newsnight . Fergus Quinn, Parlamentsabgeordneter, allgemein bekannt als Fergie, ist ein schottischer Streithammel, der selbsterklärte Primitivling in den Reihen von New Labour. Im Fernsehen gibt er sich vollmundig und beklemmend tatendurstig. Außerdem sieht er sich als die Geißel, mit der das Volk die Bürokraten von Whitehall züchtigt – aus der Distanz eine empfehlenswerte Tugend, aber nicht ganz so anheimelnd, wenn man selbst ein Beamter Whitehalls ist.
    »Sie meinen jetzt auf der Stelle, Audrey?«
    »So würde ich das Wort sofort verstehen, ja.«
    Das ministeriale Vorzimmer ist leer, das Personal längst heimgegangen. Die ministeriale Mahagonitür, solide wie Eisen, steht einen Spalt offen. Klopfen und warten? Oder klopfen und drücken? Er versucht eine Kombination aus beidem, hört: »Stehen Sie nicht einfach nur da. Kommen Sie rein und machen Sie die Tür hinter sich zu.« Er tritt ein.
    Der massige Oberkörper des dynamischen jungen Staatsministers ist in ein mitternachtsblaues Dinnerjacket gezwängt. Mit einem Handy am Ohr steht er vor einem offenen Marmorkamin, in dem rote Papierflammen züngeln. Wie im Fernsehen ist er auch in natura untersetzt, mit Stiernacken, kurzgeschorenem rötlichem Haar und dem Gesicht eines Boxers, aus dem zwei schnelle, gierige Augen blicken.
    Das vier Meter hohe Gemälde an der Wand hinter ihm

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