Empfindliche Wahrheit (German Edition)
zeigt einen bestrumpfhosten Staatsmann des achtzehnten Jahrhunderts, eine Säule des Empire. Für einen despektierlichen Moment, Resultat seiner Anspannung, erscheinen ihm die beiden so unterschiedlichen Männer als ein und derselbe. Quinn mag sich als Mann des Volkes gerieren, aber das Schmollen privilegierten Missvergnügens ist bei beiden das gleiche. Beide benutzen sie das gleiche Standbein und haben das Knie des Spielbeins leicht angewinkelt. Ist der dynamische junge Minister im Begriff, einen Straffeldzug gegen die verhassten Franzosen anzuordnen? Wird er im Namen von New Labour gegen die Dummheit des johlenden Pöbels wettern? Weder noch. Mit einem kernigen »Ich melde mich dann, Brad« in sein Telefon stapft er zur Tür, sperrt sie ab und dreht sich mit Schwung um.
»Sie sollen ein erfahrener Diplomat sein, stimmt das?«, sagt er anklagend in seinem sorgsam kultivierten Glasgower Akzent, nachdem eine eingehende Musterung seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu haben scheint. » Ein kühler Kopf , was immer das heißt. Zwanzig Jahre diversester Auslandseinsätze , um Human Resources zu zitieren. Die Diskretion in Person, nervenstark. Große Töne. Nicht dass ich unbedingt alles glaube, was ich hier erzählt bekomme.«
»Offenbar meint es jemand gut mit mir«, erwidert er.
»Und Sie sitzen jetzt auf dem Trockenen. Der Gesundheitszustand Ihrer Frau hat Sie am Auslaufen gehindert, richtig?«
»Nur während der letzten ein, zwei Jahre, Herr Minister« – etwas pikiert über das auf dem Trockenen –, »und derzeit habe ich völlig freie Hand, sehr zu meiner Freude.«
»Und Ihre derzeitige Stelle? Erinnern Sie mich kurz.«
Er setzt dazu an, seine vielen hochwichtigen Aufgaben zu skizzieren, aber der Staatsminister fällt ihm ungeduldig ins Wort.
»Schon gut, schon gut. Folgendes: Haben Sie je irgendwelche direkten Erfahrungen mit Geheimdienstarbeit gemacht? Sie ganz persönlich?«, betont er, als hätte sein Gegenüber noch ein anderes, weniger persönliches Ich.
»Geheimdienstarbeit in welchem Sinn, Herr Minister?«
»Schlapphüte. Spionagegeschichten.«
»Leider nur als Konsument. Gelegentlicher Konsument. Des fertigen Produkts. Nicht des Entstehungsprozesses, wenn das Ihre Frage ist.«
»Auch nicht bei diesen diversesten Auslandseinsätzen, von denen so lapidar die Rede war?«
»Zu meinem Bedauern waren besagte Auslandseinsätze weitgehend ökonomischer, kommerzieller oder konsularischer Natur«, erklärt er – wie immer, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt, nimmt er Zuflucht zu bombastischen Wendungen. »Was nicht heißt, dass ich nicht ab und an Einsicht in den einen oder anderen Geheimbericht hatte – aber nichts Hochkarätiges, muss ich gleich dazusagen. Darin erschöpfen sich meine Einblicke, fürchte ich.«
Aber den Staatsminister scheint dieser Mangel an konspirativer Erfahrung eher zu befriedigen, denn über seine breiten Züge huscht ein selbstgefälliges Lächeln.
»Aber Sie sind eine verlässliche Kraft, richtig? Unerprobt vielleicht, aber verlässlich .«
»So möchte man sich natürlich gern sehen« – bescheiden.
»Je mit Terrorismusbekämpfung zu tun gehabt?«
»Wie bitte?«
»Terrorismusbekämpfung. Ja oder nein?« – als hätte er einen Idioten vor sich.
»Ich fürchte, nein, Herr Minister.«
»Aber es ist Ihnen ein Anliegen ? Ja?«
»Was genau jetzt, Herr Minister?« – so beflissen, wie er nur klingen kann.
»Das Wohlergehen unserer Nation, was denn sonst! Die Sicherheit unserer Staatsbürger, wo immer sie sich aufhalten. Unsere Grundwerte in stürmischen Zeiten. Unser – ja, unser Erbe , wenn Sie so wollen« – so wie er das Wort spricht, ist es eine Klatsche für die Tories. »Sie sind keiner von diesen schlappschwänzigen Liberalen, die heimlich finden, dass die Terroristen das Recht haben sollten, die Welt in die Luft zu jagen, oder?«
»Nein, Herr Minister, das denn doch nicht«, murmelt er.
Aber der Herr Minister, weit davon entfernt, seine Verlegenheit zu teilen, setzt noch eins drauf:
»Schön, schön. Wenn ich Ihnen also sagen würde, dass es bei der extrem delikaten Aufgabe, die ich für Sie im Sinn habe, darum geht, den terroristischen Feind daran zu hindern, einen geplanten Angriff auf unser Heimatland durchzuführen, würden Sie nicht sofort zurückzucken, oder?«
»Im Gegenteil. Ich wäre … nun ja …«
»Sie wären was?«
»Erfreut. Geehrt. Und ja, stolz. Wenn auch eine Spur überrascht natürlich.«
»Überrascht wovon ?«
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