Empty Mile
zerrte ihn Richtung Tür. Brennende Pflanzen fielen auf unseren Weg, und als der Rauch so dicht wurde, dass man kaum noch etwas sehen konnte, bekam ich Angst, wir könnten es nicht mehr ins Freie schaffen. Doch dann wurde die Sprinkleranlage ausgelöst, Wasser fiel von der Decke wie ein Nebelvorhang, drückte den Rauch nieder, zischte auf brennende Pflanzen.
Wir schafften es bis zur Tür, wo ich mich umdrehte. Das Feuer erlosch bereits. Die Wand auf der Pflanzenseite der Halle war bis unter das Dach rußgeschwärzt, die Pflanzen dort vollkommen zerstört, aber es bestand kaum die Gefahr, dass das Feuer wieder aufflackern würde.
Zu viert rannten wir aus dem Gebäude. Marla nahm ihr Auto, ich das von Rosie, mit Stan und Rosie auf dem Rücksitz. Als wir wegfuhren, warf ich einen letzten Blick auf die Halle. Der einzige Hinweis auf den gerade erloschenen Brand im Inneren war eine Rauchwolke über dem Dach. Wir entfernten uns eilig. Wenn das Gebäude eine Sprinkleranlage hatte, dann vermutlich auch einen Feueralarm. Ich führte unseren aus zwei Autos bestehenden Konvoi um die Grenze des Industriegebiets herum und dann raus aus Oakridge.
Die Straße, die wir nahmen, führte kurvenreich durch unberührte Natur und mündete schließlich ein paar Meilen nördlich von unserer eigenen Lagerhalle in die Ringstraße. Dort bog ich nach Süden ab und fuhr nach Hause. Das war so ungefähr der längste Weg, den man nach Empty Mile nehmen konnte, bedeutete aber, dass wir der freiwilligen Feuerwehr von Oakridge nicht begegnen würde, sollte sie wegen des Brandes ausrücken. Und auch der Polizei nicht.
Wir redeten kaum im Auto. Stan saß dicht neben Rosie, stützte sich nach vorn gebeugt auf die Ellbogen. Er hatte die Brille abgenommen und rieb sich die Augen mit den Handballen; dabei wippte er leicht vor und zurück. Er hielt die Augen geschlossen, bis wir Empty Mile erreichten.
In der Blockhütte nahmen wir alle am Tisch Platz. Ich machte heiße Schokolade, aber Stan rührte seine nicht an, und Rosie sagte, dass sie keine Milch mochte. Ich versuchte, mit Stan zu reden, durch den Panzer seiner Schuldgefühle zu dringen, der offenkundig immer härter um ihn herum wurde. Aber das Entsetzen über seine Tat war zu groß.
»Ich bin durchgedreht, wegen diesen Fotos.«
»Ich will nicht, dass du dir wegen dem Feuer Sorgen machst, Stan. Niemand wurde verletzt. Die Sprinkleranlage hat alles gelöscht. Ein paar Pflanzen sind verbrannt, na und? Die Lagerhalle ist unversehrt – abgesehen von dem Rauch, hat sie kaum Schaden genommen.«
»Was hättest du gemacht, Johnny?«
»Wenn es Fotos von Marla gewesen wären, wäre ich auch ausgerastet.«
»Ich habe die Beherrschung verloren.« Stan hob die Hände, schlug sich mehrmals selbst ins Gesicht und stöhnte. »Was passiert jetzt mit mir?«
»Niemand hat uns gesehen. Niemand wird erfahren, wer das Feuer gelegt hat. Es könnte genauso gut irgendein durchgeschmortes Kabel gewesen sein.«
»Aber wie kann einem nichts passieren, wenn man so etwas Schreckliches tut?«
»Ich sagte doch, niemand hat uns gesehen.«
»Das meine ich nicht, Johnny. Ich meine die Welt. Etwas in der Welt sieht, was wir tun. Vielleicht sieht es nichts Normales, aber so eine große Sache …«
Stan sah sich mit großen Augen im Zimmer um. Er war übermüdet und emotional angeschlagen. Marla hatte Schlaftabletten. Ich gab ihm eine und brachte ihn ins Bett. Rosie legte sich zu ihm; ich war froh, dass sie blieb. Ihr warmer Körper neben seinem war ein besserer Trost als alle Worte oder Tabletten, die ich parat hatte.
Als sie sich hingelegt hatten, fuhr ich Millicents Auto über die Wiese zu ihrem Haus. Die alte Frau saß in ihren Schal gehüllt im Wohnzimmer; vor ihr brannte ein kleiner Kerosinofen. Der Docht des Ofens musste geschnitten werden; in dem Zimmer roch es nach Dämpfen.
Ich sagte ihr, wohin Stan und Rosie mit dem Auto gefahren und was dort passiert war. Und ich erzählte ihr von den Fotografien, die alles ausgelöst hatten.
»Ich nehme an, Sie haben den Dreckskerl nicht bei der Polizei gemeldet.«
»Das kann ich jetzt nicht mehr.«
»Wäre vermutlich eine bessere Idee gewesen, als Stan entwischen zu lassen.«
»Es hätte nichts geändert. Ich kenne den Mann. Er hätte behauptet, dass Rosie freiwillig mitgemacht hat. Selbst Rosie sagt, dass er sie nicht gezwungen hat, dass sie nur Stans Firma beschützen wollte. Stan und Rosie sind nicht die Leute, die gegen jemanden wie Jeremy Tripp auftreten können.
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