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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
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dass Stan möglichst viel beschäftigt war. Tagsüber kümmerten wir uns um Plantasaurus, abends putzten wir, packten aus und stellten die Möbel um. Anfangs wirkte er stumm und verschlossen, doch nach den drei Tagen, als wir die Hütte einigermaßen wohnlich gestaltet hatten, sah es so aus, als würde er mit seiner neuen Umgebung zurechtkommen. Eine enorme Hilfe war die Tatsache, dass er jetzt so nahe bei Rosie wohnte.
    Kurz bevor wir das Haus in der Taylor Street verließen, wurde uns zweierlei dort zugestellt. Erstens, per Kurier, ein kleiner Geschenkkorb mit einer Karte von Rolf Kortekas, dem Chef meines Vaters in der Immobilienfirma, der sein Bedauern über unsere »Situation« ausdrückte. Zweitens, mit normaler Post, ein an meinen Vater adressierter Brief. Ich öffnete ihn und erwartete eine Rechnung oder etwas dergleichen, doch stattdessen handelte es sich um das Schreiben einer Firma namens Minco Inc. in Burton.
    Sehr geehrter Mr Richardson,
    wie wir feststellten mussten, haben Sie die Proben, die Sie diesem Labor am 11 . Mai einreichten, noch nicht wieder abgeholt. Wir bedanken uns für Ihre Zahlung vom 30 . Mai und gehen davon aus, dass unsere Analyse zu Ihrer Zufriedenheit ausfiel. Allerdings pflegen wir Proben nicht länger als neunzig Tage aufzubewahren, daher wäre es uns lieb, wenn Sie sie in nächster Zeit abholen könnten. Gegen die Zahlung einer entsprechenden Gebühr senden wir sie Ihnen auch gerne zu.
     
    Mit freundlichen Grüßen,
    Reginald Singh, Bodenanalytiker
    Minco Inc.
     
    Ich hatte keine Ahnung, von welchen Proben Reginald Singh sprach oder warum mein Vater sie einem »Bodenanalytiker« geschickt haben könnte, doch als wir uns in der Blockhütte eingerichtet hatten, fühlte ich mich verpflichtet, der Sache auf den Grund zu gehen. Mein Lebens war inzwischen ein so kompliziertes Geflecht geworden, dass ich keine Gelegenheit auslassen durfte, wenigstens einen kleinen Teil davon zu entwirren. Und so wählte ich an unserem vierten Tag in Empty Mile gleich morgens die Nummer, die in dem Briefkopf stand, und fragte, ob ich die Proben meines Vaters abholen könnte. Kein Problem, wenn ich einen Ausweis mitbringen würde.
    Ich stellte einen neuen Zeitplan für die Pflanzenpflege auf, die wir an diesem Tag zu erledigen hatten, und vereinbarte mit Stan, dass ich nach Burton fahren würde, während er in der Lagerhalle arbeitete. Davor wollte ich jedoch noch einen Beweis erbringen für meine Theorie, dass Gareth für das Video von Marla und mir im Wald verantwortlich war.
    Als ich ein frühes Mittagspicknick im Wald bei Tunney Lake vorschlug, rechnete ich damit, dass Stan entsetzt reagieren würde – handelte es sich doch immerhin um die Stelle, wo er beinahe ertrunken wäre –, doch er nickte lediglich mit zusammengebissenen Zähnen und meinte, dass sich das gut anhören würde.
    Die Schatten der Berge lagen noch auf dem See, als wir dort eintrafen, fern vom Ufer sah das Wasser matt und dunkel aus, wie eine Decke, die man über Geheimnisse geworfen hatte. Als wir über den Sand gingen, sorgte Stan dafür, dass ich stets zwischen ihm und dem Wasser war, doch an dem Fleckchen Erde, wo sie ihn herausgezogen und wiederbelebt hatten, ging er näher ans Wasser, blieb stehen und betrachtete den See, die Felsen und Bäume.
    »Es ist unheimlich, Johnny. Als ich wieder zu mir kam, habe ich so viel … Raum gefühlt um alles herum, und das ist auch hinterher so geblieben. Aber heute spüre ich manchmal gar nichts mehr, außer dem, was ich sehen kann.«
    »Aber so fühlen alle, Stan. So fühle ich mich.«
    »Ich weiß, Johnny. Ich weiß.«
    Stan wirkte so verloren, als er das sagte, dass der riesige Korkenzieher der Schuld, auf dem ich für alle Zeiten aufgespießt bleiben würde, eine weitere Drehung in meinen Eingeweiden machte. Ich hatte ihm klargemacht, dass ich seine Vorstellungen von Kraft, von einem Etwas, das jenseits unserer sichtbaren Welt wirkte, für blanken Unsinn hielt. Vermutlich hatte ich gehofft, dass der schmerzhafte Dämpfer ihm helfen würde, die Welt um sich herum so zu akzeptieren, wie sie nun einmal war. Doch jetzt begriff ich, dass ich ihn nicht in Richtung einer gewissen Normalität geführt hatte, sondern ihm durch meine egoistische Vorgehensweise etwas genommen hatte, das das Leben schöner für ihn machte.
    »Bist du je wieder schwimmen gewesen?«
    »Nein.«
    Er senkte den Kopf, und wir gingen auf die Bäume zu.
    In dem schattigen Wald war das Unterholz in den dichteren,

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