Empty Mile
dunkleren Abschnitten mit Tau überzogen. Ich wusste, hätte ich diesen Spaziergang mit Stan früher gemacht, vor Plantasaurus, vor Jeremy Tripp, bevor mein Vater verschwand und wir das Haus verloren, dann wäre er durch die hohen, taufeuchten Farne gestapft, hätte Purzelbäume auf den offenen Rasenflächen geschlagen. An diesem Tag jedoch schritt er ernst neben mir her. Er plauderte ungezwungen mit mir, aber seine übliche unbezähmbare Energie war dahin.
Ich erinnerte mich deutlich an den Weg; nach zwei Minuten fanden wir den mit roter Farbe besprühten Felsen und die Mulde dahinter, wo Marla und ich vor zwei Monaten Sex im Beisein eines anderen Mannes gemacht hatten, während nicht weit entfernt der Mechanismus einer Videokamera lautlos surrte und alles aufzeichnete.
Stan gab einen kurzen Laut des Entzückens von sich, als wir um den Fels herumgingen und die dahinter verborgene Mulde betraten. Nach seinem schweigsamen Verhalten im Wald war es schön zu sehen, dass er sich noch immer über die Entdeckung eines geheimen Verstecks freuen konnte wie früher.
Er ließ sich in der Mitte der Mulde nieder. Ich überließ es ihm, die Sachen aus dem Rucksack auszupacken, den wir mitgebracht hatten, und ging nach irgendwelchen Spuren suchen.
Herauszufinden, wo die Kamera gewesen sein musste, war nicht schwer. Die Position, in der Marla und ich an jenem Tag lagen, war mir wie ins Gedächtnis eingebrannt. Dem Blickwinkel nach zu urteilen, den wir im Fernseher in Bills Blockhütte gesehen hatten, deutete alles auf eine Baumgruppe am Ende eines belaubten Baldachins hin. Zwei- bis zweieinhalb Meter über dem Boden sprossen dünne Äste aus diesen Bäumen, die die Stämme kaum verbargen. Ich hatte meine Untersuchung kaum begonnen, da fand ich auch schon, wonach ich suchte.
Seitlich an einem der Bäume befand sich eine L-förmige Metallschiene, direkt unterhalb eines Astansatzes festgeschraubt. Der horizontale Teil stand etwa zehn Zentimeter ab und wies drei Löcher auf. Die Schrauben, die die Schiene – ebenfalls mit drei Löchern – am Stamm festhielten, sahen aus, als wären sie mit dem Hammer eingeschlagen worden. Reste von braunem Klebeband hafteten noch an dem Metall, woraus man unschwer ableiten konnte, dass die Kamera dort festgeklebt gewesen sein musste.
Ich ging zu Stan, der inzwischen das Essen ausgebreitet hatte, nahm mir das Schweizer Offiziersmesser, das zu unserer Picknickausrüstung gehörte, und mühte mich fünf Minuten mit den verbogenen Schrauben ab, bis ich die Halterung abnehmen konnte. Stan kam herüber und sah mir bei der Arbeit zu, doch da er die Bedeutung des Dings nicht kannte, verlor er das Interesse.
Als ich es abgenommen hatte, drehte ich es in den Händen, doch viel schlauer war ich jetzt nicht. Das Teil bestand aus Stahl. Die Kanten waren abgerundet, die Löcher für die Schrauben ausgestanzt. Sauber gearbeitet, aber letztendlich eben nur eine Schiene. Ich steckte sie in die Tasche und ging zu Stan. Wir aßen Erdnussbuttersandwiches und Kartoffelchips. Wir erzählten uns Witze und sprachen ein paar Minuten lang über meinen Vater.
Als wir fertig waren, schlenderten wir zum sonnigen Seeufer zurück. Meine Mission im Wald war beendet, und ich wollte den Abstecher zu dem Mineralienlabor in Burton hinter mich bringen, ehe der ganze Tag verplempert war. Doch als wir uns dem Pick-up auf dem Parkplatz unweit der Hütten näherten, ging die Tür im Büro des Bungalows auf, und Gareth kam zu uns herüber.
»Alter. He, Stan. Ich habe den Wagen gesehen, wusste aber nicht, wo ihr hingegangen seid. Komm mit ins Haus, ein Bier trinken. Und eine Cola für dich, Kumpel.« Er blinzelte und zeigte mit dem Finger auf Stan.
»Wir haben etwas in Burton zu erledigen.«
»Drauf geschissen. Kommt rein. Zehn Minuten. Wir müssen uns unterhalten.«
»Ich muss wirklich …«
»Habe ich nicht Wort gehalten, was Marla angeht? Ich gebe mir Mühe, Alter. Komm schon. Wir setzen uns hin, plaudern ein wenig, und dann fährst du nach Burton.
Stan zupfte mich am Ärmel. »Ich hab Durst, Johnny. Ich könnte eine Cola vertragen.«
Wenn ich keinen Streit vom Zaun brechen wollte, musste ich bleiben, und so gingen wir drei durch das Büro und den Wohnbereich zur Rückseite des Hauses. Gareth holte eine Cola und zwei Bier aus dem Kühlschrank. Als er Stan die Flasche reichte, zeigte er zur offenen Hintertür.
»Dad arbeitet in der Scheune, Stan. Du kannst ihm dabei zuschauen, wenn du willst.«
»Super.«
Stan ging
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