Ende einer Welt
ging. Er war erst morgens mit geringer Beute von
einer Jagd zurückgekehrt. Sie gingen ein wenig
stromaufwärts und legten sich auf die Steine im Schatten der
Weiden, deren Zweige bis ins Wasser hingen. Doch trotz des
Stückchens Haut, das sie auf der Wasserfläche tanzen
ließen, zeigte sich kein einziger Fisch. Sie gaben es endlich
auf und streckten sich im Moose aus. Vielleicht würden die
Forellen später in der Dämmerung aus ihren
Löchern herauskommen.
Es bestand tiefe Zuneigung zwischen Mah und No und selbst
Zärtlichkeit. Er kümmerte sich viel um sie und liebte
ihre Gesellschaft, obwohl die jungen Leute sonst ihre Schwestern
vernachlässigten. Es war unter den Burschen üblich,
zu tun, als verachte man die Mädchen, ihre Schwäche,
ihre geringe Schnelligkeit im Laufen und die Abhängigkeit, in
der sie von ihren Müttern gehalten wurden, die ihnen nicht
gestatten, allein herumzustreifen. So tauschten sie mehr
Spöttereien als Artigkeiten aus. Und wenn später,
sobald die Knaben zu Männern heranwuchsen, andere
Gefühle in ihnen erwachten, so waren es nur die
Wälder rings um die Wohnstätten, die von diesem
Geheimnis wußten.
No sprach gerne mit seiner Schwester über alles, was
er in den Nachtwachen von den Alten gehört hatte. Alles, was
sie wußte, verdankte sie ihm. So hatte sie fischen gelernt
und, so jung sie noch war, die Schwämme, Beeren und
genießbaren Wurzeln erkennen. Auch von den Gewohnheiten der
Tiere erzählte er ihr und zeigte ihr, wie man die Spuren der
einzelnen zu deuten vermag. Schweigend lauschte Mah dem großen
Bruder, dessen farbige Darstellung die Tiere lebendig vor ihrem Geiste
erstehen ließ.
An diesem Tage, da sie ihre Sorgen nicht zu zerstreuen
vermochte, erzählte sie dem Bruder von dem Schicksal, das ihr
drohte. Mußte sie wirklich, wie die Eltern es
wünschten, jenem Greis als Weib folgen? Würde denn No
zulassen, daß derartiges geschah? Das Herz der kleinen Mah
floß über, und indes sie ihren Kopf zwischen den
Armen barg, begann sie bitterlich zu weinen. Niemals noch hatte No sie
so gesehen. Gerührt kam er näher zu ihr heran. Er zog
sie an sich und streichelte sie liebevoll, um sie zu beruhigen. Und Mah
fand so viel Süße in der Zärtlichkeit ihres
Bruders, daß sie sich wohl hütete, ihr Weinen zu
unterbrechen.
No begann ihr zuzureden.
»Warum weinst du, Mah? Ehe der Häuptling
dich heiratet, vergeht ja noch so viel Zeit. Jetzt bist du hier bei
mir, du wirst morgen bei mir sein und viele Tage noch. Warte doch mit
dem Weinen, bis es an der Zeit ist. Rahi ist alt, er kann vorher
sterben. Willst du, daß ich hingehe, ihm Angst zu machen? Ich
nehme ein Wolfsfell um die Schultern und laufe auf ihn zu. Vor
Schrecken wird seine Seele entfliehen ...«
So sprach er allerhand Unsinn, um seine Schwester zu
beruhigen. Mah wurde auch nach und nach stiller, und bei einem neuen
Scherz ihres Bruders lächelte sie schon durch Tränen.
Doch No wurde plötzlich ernst und begann zu
überlegen. Er stand auf und ging bis zum Flusse hinab. Er nahm
ein wenig Lehm von seinem Ufer. Zu Mah zurückgekehrt, begann
er die feuchte Erde zwischen seinen geschickten Fingern zu kneten. Er
formte auf diese Weise eine Figur, die einen Mann vorstellte. Er machte
ihm eine hohe Frisur und gab ihm einen Stab in die Hand. Mah sah
erstaunt, wortlos seiner Arbeit zu. Als er fertig war,
flüsterte sie: »Der Häuptling!«
»Du hast ihm seinen Namen gegeben«,
erwiderte No mit gesenkter Stimme, obwohl sie allein waren.
»Verbirg ihn an deiner Brust, Schwesterchen. Heute abend, wenn
der erste Stern zu schimmern beginnt, durchbohre sein Herz mit einer
Nadel. Dann muß er sterben.«
Mah erschauerte. Würde sie dieses Verbrechen begehen?
Sie schloß die Augen ... Rahi erschien ihr, runzelig,
gebückt und zitternd ... Sie griff nach der Figur und
hüllte sie in ein Ahornblatt.
Schweigend blickten sie beide vor sich nieder. Was sie eben
beschlossen hatten, brachte sie einander noch näher.
Mah unterbrach die Stille, und ihre Worte waren der Ausdruck
ihrer stummen Gedanken.
»Die Liebe ist etwas Schreckliches«, sagte
sie. »Auch die Tiere fühlen wie wir.«
No sprach voll Ernst, denn dieses Thema beschäftigte
ihn sehr, und er hatte darüber viel von den Weisen
gehört:
»Liebe ergreift Menschen und Tiere. Sie verursacht
großen Kummer und vieles Blutvergießen. Des Nachts
kannst du Katzen so herzzerreißende Schreie ausstoßen
hören, als
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