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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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„Nun, belassen wir es dabei. Morgen früh fahre ich nach Los Angeles zurück, gegen elf. Ich habe für Dienstag morgen einen Platz für Sie gebucht in der Maschine nach New York. Es gibt keinen Grund auf Erden, weshalb Sie nicht darüber schlafen sollten, und wenn Sie Ihre Meinung ändern …“
    „Ich werde meine Meinung nicht ändern.“
    Er überhörte das. „Wenn Sie Ihre Meinung ändern, hindert Sie nichts daran, mit mir zu fliegen.“ Er stand auf und wirkte plötzlich beängstigend groß. „Ich denke noch immer, Sie sollten mitkommen.“
    Ich mag es nicht, überragt zu werden, deshalb stand ich ebenfalls auf.
    „Sie waren wohl sehr sicher, daß ich mitkommen würde.“
    „Ich hatte es gehofft.“
    „Sie glauben, ich erfinde nur Ausreden, oder?“
    „Nicht nur.“
    „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil Sie so weit gereist sind, ohne etwas erreicht zu haben.“
    „Ich war geschäftlich in New York. Und ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben. Es tut mir nur leid, daß ich Ihren Vater verpaßt habe.“ Er streckte mir seine Hand hin. „Auf Wiedersehen, Jane.“ Nach einer Sekunde des Zögerns legte ich meine hinein. Die Amerikaner halten nicht viel vom Händeschütteln, ich hatte es mir deshalb schon lange abgewöhnt. „Und ich werde Ihrer Großmutter liebe Grüße von Ihnen ausrichten.“
    „Ja, und Sinclair.“
    „Sinclair?“
    „Sie sehen ihn doch, oder nicht? Wenn er nach Elvie kommt?“
    „Ja. Ja, natürlich. Und ich werde ihm selbstverständlich herzliche Grüße von Ihnen ausrichten.“
    „Sagen Sie ihm, er soll schreiben.“ Ich bückte mich und machte mir mit Rusty zu schaffen, weil meine Augen voller Tränen standen und ich nicht wollte, daß David Stewart das sah.
    Als er fort war, ging ich zu dem Tisch, wo mein Vater all seine Papiere aufbewahrte. Nach einer Weile fand ich die vier unbeantworteten Briefe, einen nach dem anderen, alle geöffnet und offenbar gelesen. Ich las sie nicht. Mein besseres Ich behielt die Oberhand – und ich wußte ja ohnehin, was darin stand, deshalb legte ich sie einfach wieder zurück.
    Dann hockte ich mich auf die Sitzbank, öffnete das Fenster und lehnte mich hinaus. Es war sehr dunkel, der Ozean schimmerte tintenschwarz, die Luft zog kalt herein, aber meine Schrecken hatten sich in Luft aufgelöst. Ich dachte an Elvie und sehnte mich danach, dort zu sein. Ich dachte an vorbeifliegende Gänse am winterlichen Himmel und den Geruch des Torffeuers, das im Kamin in der Eingangshalle brannte. Ich dachte an das Loch, strahlend blau und ruhig wie ein Spiegel oder grau und von Nordböen zu weißen Wellen aufgeschäumt. Ich wünschte mir plötzlich so sehr, dort zu sein, daß es richtig weh tat.
    Ich war wütend auf meinen Vater. Ich wollte ihn nicht verlassen, aber er hätte doch mit mir über die Sache sprechen und mir die Chance geben können, meine eigene Entscheidung zu treffen. Schließlich war ich einundzwanzig Jahre alt und kein Kind mehr.
    Warte nur, bis er wiederkommt, schwor ich mir. Warte nur, bis ich ihn mit diesen Briefen konfrontiere. Ich werde ihm sagen … ich werde …
    Aber meine Wut war nur von kurzer Dauer. Ich konnte nie lange wütend bleiben. Vielleicht war es die Nachtluft, die sie abkühlte, jedenfalls schwand sie dahin und starb, und ich fühlte mich merkwürdig leer. Es hatte sich doch schließlich nichts verändert. Ich würde bei ihm bleiben, weil ich ihn liebte, weil er wollte, daß ich dablieb, und weil er mich brauchte. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Die Briefe würde ich ihm nicht unter die Nase reiben, denn es würde ihm peinlich sein und ihn demütigen, und wenn wir überhaupt irgendeine Zukunft miteinander haben sollten, war es wichtig, daß er immer größer und stärker und klüger war als ich.
     
    Am nächsten Morgen war ich gerade dabei, den Küchenfußboden zu schrubben, als ich das unverkennbare Schnaufen des alten Dodge hörte, der über den Hügel und den Weg herunter nach Reef Point kam. Hastig wischte ich die letzten paar Quadratzentimeter des gesprungenen braunen Linoleums, goß das schmutzige Wasser in den Abfluß und ging über die hintere Veranda hinaus meinem Vater entgegen. Im Gehen wischte ich mir die Hände an der alten gestreiften Schürze ab.
    Es war ein wunderschöner Tag, die Sonne brannte heiß, am blauen Himmel trieben tief ein paar weiße Wolken, der glitzernde Morgen war erfüllt von Wind und dem Donnern der Wellen, die sich über den Strand ergossen. Ich hatte bereits Wäsche

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