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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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lauthals Luft oder beklagte sich tagelang unablässig. Von irgendwelchen Briefen hatte ich jedoch nichts gehört.
    David soufflierte mir. „Sie haben keine Briefe gesehen?“
    „Nein. Aber das ist nicht weiter verwunderlich, denn Vater holt die Post jeden Tag selbst vom Drugstore ab.“
    „Vielleicht hat er sie nicht geöffnet?“
    Aber auch das lag nicht in seinem Charakter. Dad öffnete Briefe immer. Er las sie nicht unbedingt, aber immerhin bestand jedesmal die vielversprechende Möglichkeit, daß der Umschlag einen Scheck enthielt.
    „Nein, das würde er nicht tun“, sagte ich und schluckte den Kloß in meiner Kehle herunter. „Worum ging es in den Briefen? Aber vielleicht wissen Sie das ja auch nicht.“
    „Doch, natürlich weiß ich das.“ Offenbar hatte er einen ziemlich trockenen Humor. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er sich hinter einem altmodischen Schreibtisch zurechtsetzte, sich räusperte und kurzen Prozeß machte mit all den unverständlichen Fallstricken von Testamenten, eidesstattlichen Erklärungen, Verkäufen, Pachtverträgen und Verfügungen. „Es ist nur – Ihre Großmutter möchte, daß Sie nach Schottland zurückkommen, zu Besuch meine ich.“
    „Ich weiß, daß sie das möchte“, sagte ich, „sie spricht in all ihren Briefen davon.“
    Er hob eine Braue. „Und? Wollen Sie nicht kommen?“
    „Doch, natürlich will ich.“
    Ich dachte an Dad, erinnerte mich an das Gespräch, das ich vor langer Zeit mitangehört hatte. „Ich weiß nicht … Ich meine, ich kann mich nicht einfach so entschließen.“
    „Gibt es irgendeinen Grund, weshalb Sie nicht kommen können?“
    „Nun, natürlich, da ist mein Vater.“
    „Sie meinen, es gibt niemanden, der ihm den Haushalt führen kann?“
    „Nein, das meine ich ganz und gar nicht.“ Er wartete darauf, daß ich diese Feststellung weiter ausführte, ihm vielleicht erklärte, was ich meinte. Ich wandte mich ab und starrte ins Feuer. Wahrscheinlich machte ich eine ziemlich dämliche Figur.
    „Wissen Sie, es gab keine nennenswerten Differenzen darüber, daß Ihr Vater Sie damals nach Amerika mitnahm“, sagte er.
    „Sie wollte, daß ich in Elvie blieb.“
    „Das wissen Sie also?“
    „Ja, ich hab gehört, wie sie sich stritten. Normalerweise stritten sie nie. Ich glaube, sie kamen sonst sehr gut miteinander aus. Aber es gab einen furchtbaren Krach meinetwegen.“
    „Nun, das ist sieben Jahre her. Es läßt sich doch sicherlich irgendwie einrichten …“
    Mir fiel eine weitere Ausrede ein: „Es ist schrecklich teuer …“
    „Mrs. Bailey wird Ihnen den Flug selbstverständlich bezahlen.“ (Das würde Dad erst recht in Rage bringen.) „Sie brauchen nicht länger fortzubleiben als einen Monat.“ Noch einmal fragte er: „Möchten Sie nicht kommen?“
    Sein Verhalten entwaffnete mich. „Doch, natürlich möchte ich.“
    „Weshalb dann dieser Mangel an Begeisterung?“
    „Ich möchte meinen Vater nicht aufregen. Und er will offenbar nicht, daß ich fahre, sonst hätte er diese Briefe beantwortet, von denen Sie sprachen.“
    „Ja, die Briefe. Ich frage mich, wo die wohl sind.“
    Ich deutete auf den Tisch hinter ihm, den Haufen von Manuskripten und Nachschlagewerken, alten Akten, Umschlägen und leider auch unbezahlten Rechnungen. „Da drüben, nehme ich an.“
    „Ich wüßte gern, weshalb er Ihnen nichts davon erzählt hat.“
    Darauf sagte ich nichts, dachte aber, daß ich es wohl wüßte. Irgendwie hatte er etwas gegen Elvie und die Tatsache, daß es mir so viel bedeutete. Er war natürlich ein bißchen eifersüchtig auf die Familie meiner Mutter, und er hatte Angst, mich zu verlieren.
    Ich zuckte die Achseln. „Keine Ahnung.“
    „Wann erwarten Sie ihn aus Los Angeles zurück?“
    „Ich glaube nicht, daß es gut wäre, wenn Sie ihm begegnen“, antwortete ich. „Das hätte nur zur Folge, daß er sich elend fühlt. Und selbst wenn er so tut, als sei er einverstanden, könnte ich ihn hier nicht allein lassen.“
    „Aber wir könnten doch sicherlich irgend etwas organisieren …“
    „Nein, können wir nicht. Er braucht jemanden, der auf ihn aufpaßt. Er ist der unpraktischste Mensch der Welt. Niemals besorgt er irgend etwas zu essen, oder Benzin fürs Auto, und wenn ich ihn allein ließe, dann wäre ich ständig krank vor Sorge um ihn.“
    „Jane, Sie müssen auch mal an sich selbst denken.“
    „Ich werde später einmal kommen. Sagen Sie meiner Großmutter, ein andermal.“
    Er trank aus und setzte das leere Glas ab.

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