Ende (German Edition)
dass hinter dem Auto keiner steht, weil nämlich jede Menge Steine wegspritzen werden, Steine wohlgemerkt, nicht Steinchen», redet sich Rafa in Fahrt und formt mit den Händen einen Ball.
Ginés hört nur zu und nickt gelegentlich. Manchmal, wenn Rafa sich besonders ereifert, schnaubt er oder lächelt, was man als «Wahnsinn» oder «Mann o Mann» oder «unglaublich» interpretieren könnte. Tatsächlich aber beteiligt er sich nicht an dem Gespräch, seine Haltung ist passiv, was Rafa zu einer Frage nutzt.
«Hat deiner einen Abschleppring?»
Weil Rafa plötzlich verstummt und ihn ansieht, räuspert sich Ginés und zwingt sich zu antworten.
«Ich weiß nicht. Die Frage habe ich mir noch nie gestellt.»
«Ich glaub nämlich nicht. Heutzutage lassen sie den gern mal weg. Es ist wie mit den Reifen: Die sind nicht dazu gedacht, in den Bergen rumzukurven. Würde man damit über Felsen fahren, wären sie ruck, zuck platt. Hast du das gewusst? Dafür sind sie nämlich nicht ausgelegt, das hat mit der Karosserie zu tun. Die ist so konstruiert, dass man zweihundertfünfzig Stundenkilometer fahren kann. Spitze Steine allerdings sollte man tunlichst meiden. Dass man beides machen kann, haben sie noch nicht hingekriegt. Und weil sie ihre Kunden kennen, weil sie wissen, dass die selten …»
Ibáñez hat sich zu den beiden hinzugesellt, hört schweigend zu, kann sich aber ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Rafa beachtet ihn kaum, als wäre es das Normalste der Welt, dass sich Ibáñez dazustellt und kein Wort sagt. Ginés hingegen hat ihm mehrmals einen nervösen Blick zugeworfen, der sich durchaus als Hilferuf interpretieren ließe.
«Willst du die Schranke wirklich rausreißen?», fragt Ibáñez, als Rafa eine Pause macht. «Das Ding ist hässlich, ja, aber es hat euch doch nichts getan.»
«Von wegen!», regt sich Rafa auf. «Wegen dieser blöden Schranke mussten wir die Autos oben stehenlassen, einen Kilometer entfernt! Was, wenn sie geklaut werden? Wenn was passiert, was weiß ich, ein Notfall? Wenn wir jemanden so schnell wie möglich von hier fortschaffen müssen?»
«Stimmt, manchmal passiert das schneller, als man denkt», pflichtet Ibáñez ihm bei. «Wenn ich mir den einen oder anderen hier ansehe …»
«Das sind diese Scheißsozialisten!», unterbricht ihn Rafa. «Ständig ziehen sie einem das Geld aus der Tasche: Steuern, Strafzettel, Parkgebühren. Und wozu? Um Schranken zu errichten! Und Moscheen.»
Ginés ist überrascht, runzelt ungläubig die Stirn. Ibáñez hingegen setzt eine Unschuldsmiene auf und fragt mit geheuchelter Neugier: «Hier soll eine Moschee gebaut werden?»
«Nein, nicht hier, ich meine nur so allgemein.»
«Sind hier die Sozialisten an der Regierung?», fragt Ginés.
«Was meinst du mit hier?»
«Diese Gegend gehört doch zu Somontano, oder nicht?»
«Keine Ahnung», sagt Rafa genervt. «Auf jeden Fall sind sie auf Länderebene an der Macht. Und Landstraßen sind Ländersache.»
«Das Gespräch wird ja immer interessanter», mischt sich Ibáñez wieder ein. «Das Thema, wie soll ich sagen, Migrationsströme, ist ein Steckenpferd von mir, wie auch die Sache mit den ‹spitzen Steinen›. Aber eigentlich bin ich wegen dem da gekommen.» Er deutet auf Ginés. «Seine entzückende Verlobte will ihm etwas zeigen, irgendwas Geologisches oder Architektonisches, ich hab’s nicht ganz verstanden.»
«Und warum kommt sie nicht selbst?», fragt Rafa.
«Die Mysterien einer Frau», spöttelt Ibáñez. «Übrigens habe ich sie um einen Tanz gebeten, aber ihr Büchlein mit Schildpatteinband war schon mit Namen vollgekritzelt.»
Ginés nimmt Ibáñez’ Bemerkung schmunzelnd hin, aber Rafa kann mit diesem gekünstelten Humor nichts anfangen.
«Warum redest du so blöd daher?»
Trotzdem schließt er sich den beiden an, als sie zum anderen Ende des Raums aufbrechen.
«Rafa», sagt Ibáñez und bleibt abrupt stehen. «Tu mir einen Gefallen und leg noch mal die ABBA-CD ein, ja?»
«Nicht schlecht, die Platte, stimmt’s?» Rafa ist plötzlich munter geworden.
«Ich liebe ABBA, besonders dieses eine Lied …»
«Fernando!»
«Genau!»
Rafa geht sofort zur Stereoanlage.
«Ich hab’s gleich», sagt er, während er zögernd die Knöpfe betrachtet. «Erst mal den Wechsler ausschalten, und dann …»
«Wie heißt es so schön: Die menschliche Dummheit kennt keine Grenzen», flüstert Ibáñez Ginés ins Ohr und zieht ihn beiseite, «aber einige Schranken scheint es doch noch
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