Ende (German Edition)
Glas verschüttet.
«Mir wäre es, ehrlich gesagt, lieber, wenn hier in der Nähe noch Leute wohnen würden», meldet sich Maribel zu Wort. «Diese dunkle, einsame Gegend macht mir Angst. Früher war das nicht so.»
«Doch, war es!», widerspricht Hugo. «Nur haben wir uns verändert, vor allem ihr Frauen. Ihr seid inzwischen richtige Angsthasen.»
«Angsthühner», setzt Ibáñez einen drauf.
«Macht euch nur lustig! Ihr wurdet ja auch nicht von einem Wildschwein angegriffen.»
«Ihr habt doch nicht mal ihre krummen Hauer zu spüren bekommen», spottet Ibáñez.
«Soweit ich weiß, warst du gar nicht betroffen», sagt Hugo zu Maribel, ohne auf Ibáñez’ Bemerkung einzugehen. «Das Tier ist doch in Ginés’ Auto reingelaufen.»
«Genau. Ginés hat es uns vorhin erzählt. Für ihn war es offenbar keine große Sache.»
«Aber sie hätten sich beinahe überschlagen!», empört sich Maribel. «Ich weiß gar nicht, wie Ginés das so herunterspielen kann.»
Hugo schaut sich kurz um und sagt dann in vertraulichem Tonfall: «Ehrlich gesagt fand ich Ginés ein bisschen komisch.»
«Du auch?», erwidert Maribel triumphierend. «Rafa meint, er sei noch geschockt wegen des Wildschweins, aber mir kommt er eher zerstreut vor, irgendwie nicht ganz anwesend.»
Ibáñez hält sich zurück. Stumm und mit leicht gerunzelter Stirn steht er da, hält das Glas im unteren Teil zwischen Daumen und Zeigefinger. Ob Maribels Bemerkung ihn überrascht, neugierig gemacht oder sonst eine Empfindung in ihm hervorgerufen hat, versteckt er gut hinter den verzerrenden Gläsern seiner winzigen Brille. Hugo starrt einen Moment lang auf sein Glas, hebt dann den Blick und sagt achselzuckend: «Ich habe eben mit Ginés gesprochen, draußen. Mir kommt es auch so vor, als hätte er Probleme.»
«Was für Probleme?»
«Finanzieller Natur. Bis vor kurzem hat er gut verdient, Immobilien, ihr wisst schon. Aber jetzt, mit der Rezession … So direkt wollte er es mir nicht sagen, aber er sitzt bestimmt ganz schön in der Scheiße, ist wahrscheinlich hochverschuldet. Tja, je höher man steigt …»
Ibáñez hat sich der Versammlung eingezogener Hälse und zischelnder Stimmen nicht angeschlossen. Er ist aufrecht stehengeblieben, ruhig, würdig, aufmerksam. Jetzt wendet er sich an Hugo.
«Du warst mal sein bester Freund. Solltest du ihm das nicht lieber selber sagen?»
«Er will sich ja nicht helfen lassen! Wenn jemand nicht einsehen will, dass er ein Problem hat, kann man nichts machen.»
«Armer Ginés!», mischt sich Maribel ein. «Dabei hat er so eine tolle Freundin. Gut gekleidet, elegant. Das gilt übrigens für beide. Dann dieses Auto. Und jetzt stellt sich raus, dass …»
«Moment, ich hab nicht gesagt, dass es wirklich so ist. Ich hab nur zwei und zwei zusammengezählt.»
Hugo schweigt, als suche er nach Worten, als fühle er sich unbehaglich und würde am liebsten das Thema wechseln. Maribel denkt nach über das, was sie gerade gehört hat. Da meldet sich Hugo doch noch zu Wort und nimmt das Thema wieder auf.
«Ich wollte euch nur warnen. Sollte er euch irgendwann anblaffen, wisst ihr Bescheid.»
«Hat er dich etwa angeblafft?», fragt Maribel.
«Nicht wirklich, aber …»
«Entschuldigt, bitte», sagt Ibáñez plötzlich. «Ich werde noch ein bisschen Orangensaft in meinen Wodka-O kippen, so ist er mir zu stark. Ich vertrage nicht mehr so viel wie früher.»
«Wichser», bildet Ibáñez mit den Lippen, als er Hugo den Rücken zugekehrt hat. Er geht zum Tisch, stellt sein Glas ab und umfasst den Hals einer Flasche, ohne sie anzuheben. Dann schaut er sich suchend um. Sein Blick bleibt an etwas hängen. Ohne zu blinzeln, starrt er einige Augenblicke die Stereoanlage an, die in der Ecke vor sich hin dudelt.
Ibáñez entfernt sich etwas vom Tisch, kehrt aber gleich wieder zurück, um sein Glas zu holen. Dann begibt er sich in die Ecke, in der Ginés und Rafa sich gerade aufhalten. Rafa erklärt etwas mit ausladenden Gesten, Ginés hört aufmerksam zu, blickt sich jedoch immer wieder verstohlen um. Dadurch sieht er Ibáñez kommen.
«Hätte ich das gewusst, hätte ich das Kabel mitgebracht», sagt Rafa. «Dreitausendfünfhundert Kilo, dreieinhalb Tonnen, so steht’s im Katalog, und die untertreiben meistens, zur Sicherheit. Das binde ich an der Schranke fest, lege den ersten Gang ein, ASR, Differenzialsperre, doppelte Traktion: Wäre ja gelacht, wenn ich das Ding nicht rausreißen könnte, Zement hin oder her. Wichtig ist nur,
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