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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Monteagudo
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gestalten. Ein verkümmerter Baum – ein Zitronenbaum oder eine Zypresse – hat der unbarmherzigen Sonne und den Winterfrösten nicht standgehalten. Sonst ist alles vorhanden, was zu einem Garten gehört: Holzzwerge, eine Schaukel, ein Tisch, eine Grillstelle in der windgeschütztesten Ecke, die wegen des Feuerverbots zugemauert ist.
    Amparo und Hugo stehen bereits an der Haustür, zu der eine dreistufige, von Geranientöpfen gesäumte Treppe hinaufführt. Das Haus ist einstöckig und quadratisch, die Vorderwand hat zwei schiefe Fenster mit grün gestrichenen Gittern, der Eingang ist ganz rechts. Ziegelsteinpfeiler halten das Haus in der Waagrechten. Im Hohlraum zwischen Boden und Hang stapelt sich trockenes Holz, das teilweise von einer Plane geschützt ist. Die halb geöffnete Eingangstür gibt den Blick frei auf eine weiße Wand und einen dunklen Ecktisch, auf dem ein mit Trockenblumen verzierter Krug steht. Zu sehen ist außerdem der größte Teil eines runden Spiegels, dessen geschmiedeter Rahmen Blätter darstellen soll, vielleicht auch Sonnenstrahlen, denn er ist bronzefarben lackiert. Weil die Besucher von unten nach oben blicken, sehen sie darin lediglich die nackte Wand.
    Hugo steht mit dem einen Fuß auf der zweiten und mit dem anderen auf der ersten Stufe und blickt in den Spiegel, wodurch er nicht bemerkt, was Amparo, die etwas tiefer steht, sofort entdeckt. Sie kreischt. Ein kleiner, nicht einmal einen halben Meter hoher Schatten ist durch die Tür gehuscht, ein graubraunes Tier, aber kein Hund. Es wankt merkwürdig, hüpft aber trotzdem flink die Treppe hinunter. Jetzt schreien auch andere, aber die meisten haben erkannt, um welches Tier es sich handelt, insbesondere die, die etwas weiter weg stehen. Hugo hat sich genauso erschrocken wie Amparo und verwandelt einen Schrei gerade noch zu einem Glucksen. Dann begreift auch er, was er gerade gesehen hat.
    «Ein Adler!», ruft jemand, während das Tier nach dem Ausgang aus dem Garten sucht.
    «Das ist kein Adler», stellt Ginés richtig, «das ist ein Geier oder so was Ähnliches. Jedenfalls sind der Schnabel und der Hals typisch für einen Aasfresser.»
    «Wie seelenruhig der davonspaziert ist!», wundert sich Ibáñez.
    «Wieso fliegt er nicht?»
    «Wird er schon noch. Da, jetzt hebt er ab!», ruft Ginés und deutet auf das Tier, das knapp über dem körnigen Grün den Berg hinaufschwebt.
    «Mann, hat der mir vielleicht einen Schreck eingejagt!», schimpft Hugo und atmet schwer.
    Weil Amparo ihn am Hemd zerrt, fällt er beinahe die Stufen hinunter.
    «Geht’s noch? Du hättest mich fast umgerissen.»
    «Ich … Ich», stammelt Amparo, der der Schreck sichtlich noch in den Gliedern steckt. «Ich habe mich erschrocken, weil ich mit einem Hund gerechnet habe und nicht mit so einem, so einem …»
    «Wir sind alle erschrocken», beruhigt Ginés sie.
    «Wir müssen vorsichtig sein», mahnt Maribel, die ganz hinten steht. «Es könnten noch mehr von den Viechern dadrin sein.»
    «Das ist jetzt nicht unser Hauptproblem», findet Ibáñez.
    «Nein», bestätigt Ginés. «Die Frage ist: Was macht ein Geier in einem Haus, in dem theoretisch Leute wohnen?»
    «Oder eben nicht. Ich meine: Das Haus sieht so aus, als wäre es schon länger verlassen.»
    «Warum ist die Tür dann auf?»
    «Einbrecher?»
    «Vielleicht ist der Geier ja ein Haustier», gibt Cova zu bedenken und zieht mit ihrer Bemerkung alle Blicke auf sich. «Klingt zwar merkwürdig, aber heutzutage gibt es nichts, was es nicht gibt.»
    «Geier als Haustiere: der neueste Schrei», näselt Hugo. «Schatz, ich bitte dich!»
    «Ich meinte ja nur, dass …», entschuldigt sich Cova verlegen, bringt ihren Satz aber nicht zu Ende, weil Nieves ihr ins Wort fällt.
    «Ich hab’s!», ruft sie plötzlich wie aufgedreht. «Der Pfarrer hat mir gesagt …»
    «Der Pfarrer?», fragt María.
    «Die Herberge und die Burg gehören zur Pfarrei von Somontano», erläutert Nieves. «Und der Pfarrer verwaltet die Schlüssel. Er hat mich vor den Geiern gewarnt. Seit die Müllverbrennungsanlage gebaut wurde, haben sie sich sprunghaft vermehrt.»
    «Früher gab’s auch schon welche», erinnert sich Maribel. «Sie sind immer über der Schlucht gekreist.»
    «Offenbar durchstöbern sie den Hausmüll nach Nahrung.»
    «Den Müll zu durchwühlen ist eine Sache, aber …»
    «Der Pfarrer hat mich ausdrücklich gebeten, keinen Abfall in der Herberge zurückzulassen», erklärt Nieves, «sondern ihn oben im Container zu

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