Ende (German Edition)
Freundin bei der Hand. «Vielleicht finden wir sie.»
Ohne Eile brechen die beiden Frauen auf, während Ginés sich mit weit ausgebreiteten Armen aufs Geländer stützt.
«Wir müssen eine zugängliche Stelle finden», murmelt er nach einer Weile wie zu sich selbst.
«Und wer soll runterklettern?», fragt Ibáñez und sieht María an, die seinen Blick erwidert, auch wenn sie mit den Gedanken ganz woanders zu sein scheint.
«Ich», sagt María schließlich, «ich kann klettern, auch Freestyle. Außerdem bin ich die Leichteste von uns allen. Wenn man nach dem Verhältnis von Gewicht und Kraft geht, bin ich die erste Wahl, vor allem was den Abstieg betrifft.»
«Damit verlieren wir nur Zeit», sagt Nieves. Ihrem Tonfall nach zu urteilen, spricht sie aus, was sie denkt, ohne weiter darauf zu achten, was sie sagt. Trotzdem wirft Ginés ihr einen strengen, tadelnden Blick zu. Dann sieht er zu Hugo, der aber immer noch abwesend wirkt, als würde er nicht begreifen, was um ihn herum geschieht.
Inzwischen ist María geschickt über das Geländer geklettert, hält sich mit nur einer Hand fest und reckt den Hals, um möglichst weit nach unten sehen zu können. Ibáñez und Ginés verfolgen ängstlich jede ihrer Bewegungen, strecken ihre Arme nach ihr aus, für den Fall, dass sie plötzlich zupacken müssen. Ginés geht sogar noch weiter, schiebt ihren feinen Goldreif zurück und ergreift ihr dünnes Handgelenk. María dreht den Kopf, sieht erst auf Hugos Hand und dann in seine Augen.
«Ich bräuchte eigentlich nicht runterzuklettern», sagt sie, wendet ihren Blick von Ginés ab und sieht nun Ibáñez an. «Von hier aus kann ich fast alles überblicken: keine Spur von Cova. Aber wenn einer von euch übers Geländer klettert und mich festhält, kann ich mich noch ein Stückchen weiter runterlassen, um auch noch bis in die letzten Winkel zu schauen. Dann haben wir endgültig Gewissheit.»
«Und wir halten das Geländer fest», sagt Nieves. «Ich meine, ich habe Angst, dass es so viel Gewicht nicht aushält.»
Das Geländer ist zwar dünn, aber es wirkt solide, ist fest im Fels verankert. Außerdem sind zwischen den Pfosten zwei Eisenkabel gespannt, um jegliche Absturzgefahr zu bannen.
Aus der Ferne jedoch sind diese Kabel nicht zu erkennen. Es scheint sie nicht zu geben. Aus der Ferne sieht man, wie Ginés – eine hochgewachsene, schlaksige Gestalt –, umwimmelt von mehreren Helfern, ungeschickt über das schmale Geländer steigt. Der in den Felsen gehauene Weg ist eine dünne Schattenlinie auf der Wand, und auf dieser Linie sieht man links einen farbigen Klecks – eigentlich zwei, eng beieinanderliegende Kleckse –, der sich, immer wieder verweilend, langsam von der Gruppe entfernt. Das ist alles. Sonst regt sich nichts, ist kein weißer Fleck zu erkennen auf der trägen Kurve des Flussbetts, das übersät ist mit runden Felsen und Kieselsteinen aller Größen, nur ein dicker, grauer, inmitten seines schweren, fettigen Fließens zu Stein erstarrter Schaum.
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Hugo – María – Ginés – Amparo – Ibáñez – Maribel – Nieves
E s ist Abend. Wütend funkelnde Sterne haben den Himmel erobert. Auf der Erde ist es dunkel: Geblieben ist nur ein Schimmer im Westen, wo vor einer Stunde die Sonne untergegangen ist, eine Aura, ein goldenes, die wenigen Sterne überstrahlendes Glimmen, das die schwarze, geheimnisvolle Silhouette der Berge hervorhebt. Der Mond erleuchtet nichts: ein scharf umrissener Halbkreis, an dessen Ecken das Licht Nadeln bildet. Er steht tief, ist reine Dekoration und droht sich im milchigen Glanz des Horizonts ganz aufzulösen.
Die Straße liegt vollständig im Dunkeln, unberührt vom prachtvollen Schauspiel, das sich oben entfaltet. Nach unzähligen, ineinanderverwobenen Kurven unter dem Dach der Bäume verläuft sie nun gerade und unter freiem Himmel, folgt dem Rand einer engen Hochebene, fällt dann ab zu einem kleinen Flusstal. Am Ende einer Geraden biegt sie scharf links ab, führt heraus aus dem Tal und hinein in ein Labyrinth aus kargen Bergen und Steilhängen. Wie um sich vom Fluss zu verabschieden, liegt kurz vor der Kurve rechts ein kleiner Aussichtspunkt, von dem man einen schönen Blick über die schilfbewachsene Flusslandschaft und Waldstücke hat.
Jetzt ist davon allerdings nichts zu sehen. In der fast vollständigen Dunkelheit, die sich über die Erde gelegt hat, ist nur ein Licht in der Mitte des Aussichtspunkts zu erkennen, das mal blau, mal
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