Ende (German Edition)
abrupt stehen. «Nimm mich in den Arm. Bitte! Wenn du mich in den Arm nimmst, glaube ich vielleicht, dass wir hier heil rauskommen, dieses Dorf erreichen, dass alles wieder gut wird.»
Hugo schnaubt und sieht der Gruppe nach, die sich immer weiter entfernt. Dann schnaubt er noch einmal und schüttelt mehrmals den Kopf, legt aber trotzdem seine Arme um Cova, erst verkrampft, dann etwas entspannter.
«Sag mir, dass du mir verzeihst», flüstert ihm Cova mit warmem, feuchtem Atem ins Ohr.
Hugo zuckt zurück und erstarrt, den Blick auf die Felsen des Flussbetts gerichtet.
«Warum hast du mich nicht verlassen? Warum bist du bei mir geblieben?», fragt Cova. Sie sagt es merkwürdig neutral, gleichgültig, ihre Haltung hat etwas Passives.
Hugo weicht zurück, langsam, Millimeter um Millimeter. Da geschieht etwas, das ihrer Umarmung endgültig ein Ende setzt. Sie sehen nach vorne, zu der Gruppe, die einen Steinwurf weit entfernt abrupt stehengeblieben ist.
«Was ist das?», fragt jemand.
Hugo kneift die Augen zusammen, aber er kann nichts erkennen. Da sind nur die grauen Felswände und die sechs reglos verharrenden Freunde. Aber er hört etwas, ein anschwellendes Prasseln, wie ein Wasserfall aus Kieselsteinen, der in die Tiefe rauscht. Dann sieht er sie plötzlich, eine Armee von kleinen grauen Schatten, die kaum von den Felsen zu unterscheiden sind und leichtfüßig auf sie zustürmen.
«Ziegen!», ruft jemand, wahrscheinlich María.
«Bergziegen», ergänzt Ibáñez ebenso überrascht.
Hugo nimmt alles zeitversetzt wahr. Erst jetzt erkennt auch er die Tiere. Was in der Ferne wie Flöhe wirkte, wie hüpfende Parasiten, zum Leben erwachtes Geröll, wie flache, auf dem Wasser tanzende Kieselsteine, entpuppt sich als wendige Ziegenherde mit Hörnern von großer – bei den Männchen fast übertriebener – Pracht.
Die Tiere rennen auf sie zu, sind fast schon auf der Höhe der ersten Gruppe. Mit hoher Geschwindigkeit jagen sie das Flussbett entlang, springen links und rechts den Hang hinauf, finden Halt auf Vorsprüngen, die man mit dem bloßen Auge nicht erkennen kann. Ihr Fell ist so grau wie ihre Hörner, hebt sich kaum ab von der mineralischen Farbe des Felsens. Ihre Hufe sind hart, klingen wie Hunderte von Steinen, die auf Felsen prasseln.
Plötzlich bemerkt Hugo, dass unter seinen Freunden, die zwanzig Meter entfernt stehen, Unruhe aufkommt. Zögernd beginnen sie zurückzuweichen. Eine Schar von Ziegen, die sich von der Hauptherde gelöst hat, rennt den in den Felsen gehauenen Weg entlang und droht die sechs niederzutrampeln. Hugo läuft los in ihre Richtung, aber kaum hat er drei Schritte getan, staucht sich die Untergruppe der Ziegen überraschend zusammen, als bildeten sie angesichts einer drohenden Gefahr einen einzigen Leib. Und dann, ohne in ihrem Lauf innezuhalten, schießen sie wie ein Schwall aus Beinen, Köpfen und Hörnern über das Geländer hinaus – Hufe klappern gegen das Metall – und ergießen sich in die Tiefe.
Die Tiere finden Halt an Stellen, die keinen Halt zu bieten scheinen, und da, wo ein Mensch unweigerlich abgestürzt und zerschmettert wäre, finden die Tiere, ihrem Instinkt folgend, einen Weg und vereinigen sich unten mit dem Hauptteil der Herde, ohne sich zu verletzen, ohne dass der Rückstau und ihr leichtes Straucheln Folgen gehabt hätten, als wären sie Wasser, das sich in dem felsigen Gelände seinen natürlichen Lauf bahnt.
Stumm vor Schreck sehen die Freunde der Herde nach, die sich in der Ferne verliert. Das eben noch laut in der Schlucht widerhallende Hufegetrappel wird leiser und leiser, bis schließlich Stille eintritt. In der Luft liegt ein strenger Geruch nach Moschus.
«Mannomann!», ruft Hugo und läuft zu seinen Freunden. «Seid ihr okay? Habt ihr was abgekriegt?»
«Es stinkt nach Ziegenbock», sagt Nieves nur.
«Alles in Ordnung», meldet Ginés. «Sie sind im letzten Moment abgedreht.»
«Ich weiß», sagt Hugo, «aber es war scheißknapp.»
«Sie waren genauso erschrocken wie wir», bemerkt María.
«Habt ihr gesehen, wie die gehüpft sind?», hakt Hugo nach.
«Ich dachte, die springen alle in den Tod», sinniert Amparo, «sozusagen im Kollektiv.»
«Ich kann nicht mehr», jammert Maribel. «Wo kommen die vielen Viecher nur her?»
«Besorgniserregend ist eher das Wie: dass sie so gerannt sind», sagt Ibáñez. «Und dann gleich so viele auf einmal.»
«Was meinst du damit?», fragt Nieves.
Ibáñez sieht in die Richtung, aus der die Ziegen
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