Ende (German Edition)
Ibáñez und dreht leicht den Kopf in ihre Richtung.
«Bei Typen wie dir kriegt man tatsächlich Lust, eine zu werden.»
«Dann geh doch mal in eine Lesbenbar und bestell einen Drink.»
«Es reicht», geht Ginés dazwischen.
«Nein, lasst ihn», sagt Amparo. «Soll er doch sein Gift verspritzen. Wenn alles raus ist, haben wir endlich unsere Ruhe.»
«Solange du dich nicht zu deiner Homosexualität bekennst», stichelt Ibáñez weiter, «wirst du nie glücklich.»
«Ich sagte, es reicht!», wird Ginés deutlicher. «Wir hatten genug Geduld mit euch. Schluss jetzt mit eurer Therapiesitzung.»
«Alles läuft so ab, wie er es will», sagt Maribel mit tonloser Stimme, wie zu sich selbst, aber ihre Bemerkung zeigt augenblicklich Wirkung. Selbst Ibáñez kehrt zurück und nimmt seinen Platz wieder ein. Schließlich ist es María, die das Wort ergreift.
«Wer?»
«Wir verhalten uns genau so, wie er es geplant hat», antwortet Maribel nur.
«Wer? Nun sag schon», drängt Ginés ungeduldig.
«Wer wohl?», erwidert Maribel gereizt. «Das wisst ihr ganz genau.»
Es folgt ein langes Schweigen. Erstaunt beobachtet María, wie alle sich gegenseitig ansehen, flüchtig, verstohlen, betreten. Schließlich schüttelt sie den Kopf und wendet sich Ginés zu, der neben ihr steht. Sie will ihm etwas sagen, aber er kommt ihr zuvor.
«Du meinst den Propheten, stimmt’s?»
«Der Prophet!», tönt Hugo und hebt endlich den wirren Blick. «Der Prophet.»
Amparo, Nieves, Hugo, Ibáñez, selbst Maribel weichen nun nicht mehr schuldbewusst den Blicken aus oder suchen Zuspruch in den Augen der anderen, um ihrer Angst Herr zu werden. Stattdessen starren sie in die Nacht, in die dunkle Masse der Böschung, die schwarz und trügerisch ist wie ein trübes Meer.
Nur Ginés beugt sich nach vorne, stützt seine Ellenbogen auf die Knie, legt seinen Kopf in beide Hände, als wollte er sich absondern, nachdenken oder sich einfach ausruhen. Fassungslos betrachtet María das Bild, das sich ihr bietet, schüttelt den Kopf, mustert jedes Gesicht, jede Haltung und stößt überall auf Angst.
«Das ist doch lächerlich», sagt sie schließlich. «Glaubt ihr wirklich … Ginés, sag was. Meinst du auch …»
«Es ist nicht wichtig», antwortet Ginés, hebt leicht den Kopf und dreht ihn in ihre Richtung. «Es ist nicht wichtig, wovor wir flüchten: vor dem Propheten, vor einer nuklearen Katastrophe, vor unserem Gewissen. Das Ergebnis ist das Gleiche: Wir müssen weiter, weg vom Kern, weg vom Problem, so weit wie möglich. Wir müssen zurück zur Normalität, zur Zivilisation. Wenn es die überhaupt noch gibt.»
Ginés erhebt sich, mühsam, voller Schmerzen, kämpft mit der Taubheit seiner Glieder nach dem langen Marsch, mit der unbequemen Sitzhaltung, mit seinen weit über vierzig Jahren.
«Wir müssen uns jetzt ausruhen», schließt er und massiert sich die Nieren. «Und Wachen aufstellen.»
«Wachen», sagt jemand, als hätte er gerade zum ersten Mal an diese Möglichkeit gedacht.
«Immer zwei natürlich», stellt Ginés klar. «Wer besonders müde ist, soll sich erst mal hinlegen. Die Lampe bleibt an. Und Feuer machen wir erst, wenn es nötig ist.»
«Aber …»
«In dieser Gegend gibt es keine wilden Tiere», erklärt Ginés müde, aber bestimmt. «Wir sind hier nicht in der Serengeti.»
María sitzt immer noch auf dem Boden und sieht Ginés lange an, mit gerunzelter Stirn, neugierig, erstaunt.
D ie Vögel zwitschern, kreischen, schreien sich die Lunge aus dem Leib, um den neuen Tag zu begrüßen. Es sind so viele, dass ihr Geschrei aggressiv wirkt, wütend. Noch sind die Sterne nicht verblasst, jedenfalls nicht alle. Nur die Farbe des Himmels hat sich verändert: Er ist jetzt grau, fast transparent, dunkelviolett dort, wo die Sonne untergegangen ist, malvenfarben, wo sie gleich aufgehen wird. Es hat abgekühlt, ohne wirklich kühl zu sein. Seit kurzem weht kein Lüftchen mehr.
Auf der Lichtung links neben der Straße bietet sich eine desolate Szenerie aus zusammengedrängten Gestalten in zerknitterter Kleidung. Zwei Körper sind deutlich auszumachen, zwei andere scheinen einen Leib zu bilden. Die Butangaslampe steht nach wie vor in der Mitte, ist aber kaum zu erkennen, weil sie erloschen ist. Ohne die flackernde Flamme ist sie ein grauer, bedeutungsloser Gegenstand.
Das Gemenge aus Leibern rührt sich nicht. Plötzlich zuckt eine der kleineren Gestalten, reckt sich. Erst jetzt erkennt man, dass es sich um einen Menschen handelt,
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