Enders Schatten

fuchtelte. Kampfbefehl. Sie würden um 0700 gegen die Kaninchenarmee antreten, und zwar auf nüchternen Magen.
    Â»Ich will nicht, dass jemand in den Kampfraum kotzt.«
    Â»Können wir wenigstens vorher pinkeln gehen?«, fragte Nikolai.
    Â»Nicht mehr als einen Dekaliter«, antwortete Wiggin.
    Alle lachten, obwohl sie nervös waren. Als neue Armee mit nur einer Handvoll Veteranen erwarteten sie nicht gerad e zu siegen, aber sie wollten sich auch nicht demütigen lassen.
    Sie gingen auf unterschiedliche Weise mit dieser Nervosität um. Einige schwiegen, andere wurden geschwätzig. Einige witzelten und spotteten, andere wurden mürrisch. Einige lehnten sich einfach wieder im Bett zurück und schlossen die Augen.
    Bean beobachtete sie. Er versuchte sich zu erinnern, ob die Kinder in Pokes Bande je so etwas getan hatten. Und dann begriff er: Sie hatten Hunger gehabt und nicht Angst davor, gedemütigt zu werden. Eine solche Angst kann man sich nur leisten, wenn man genug zu essen hat. Also waren es die Schläger, die sich so gefühlt hatten wie diese Kinder, die Angst vor Demütigung gehabt hatten, aber nicht vor dem Hunger.
    Und richtig, die Schläger in der Schlange vor der Suppenküche hatten all diese Haltungen an den Tag gelegt. Sie hatten stets Theater gespielt, waren sich stets bewusst gewesen, dass andere sie beobachteten. Sie hatten befürchtet, kämpfen zu müssen, und waren gleichzeitig ganz versessen darauf gewesen.
    Was empfinde ich?
    Was stimmt mit mir nicht, dass ich jetzt darüber nachdenken muss?
    Ach … ich sitze einfach nur hier herum und beobachte. Ich bin einer von denen.
    Bean holte seinen Blitzanzug heraus, aber dann wurde ihm klar, dass er besser zur Toilette gehen sollte, bevor er ihn anzog. Er sprang vom Bett, nahm sein Handtuch vom Haken und wickelte sich darin ein. Einen Augenblick lang erinnerte er sich wieder an die Nacht, als er sein Handtuch unter ein Bett geworfen hatte und ins Belüftungssystem gekrochen war. Dort würde er jetzt nicht mehr hineinpassen. Zu muskulös, zu groß. Er war immer noch der Kleinste in der Kampfschule, und er bezweifelte, dass sonst jemand bemerken würde, dass er gewachsen war, aber er war sich bewusst, dass seine Arme und Beine länger geworden waren. Er konnte alles leichter erreichen. Er musste nicht mehr so oft hochspringen, um ganz normale Sachen zu machen, wie die Handfläche auf eine Scannerplatte zu drücken.
    Ich habe mich verändert, dachte Bean. Mein Körper, aber auch meine Art zu denken.
    Nikolai lag immer noch im Bett, das Kissen über dem Kopf. Jeder hatte seine eigene Art, mit der Nachricht umzugehen.
    Alle Kinder im Waschraum benutzten die Toiletten oder tranken einen Schluck Wasser, aber Bean war der Einzige, der es für eine gute Idee hielt zu duschen. Sie hatten ihn manchmal geneckt und gefragt, ob das Wasser überhaupt noch warm war, bis es ganz unten bei ihm ankam, aber der Witz hatte inzwischen einen Bart. Bean sehnte sich nach dem Dampf. Der Nebel rings umher, die angelaufenen Spiegel, dadurch war alles verborgen, sodass er jeder hätte sein können, irgendwer, von jeder Größe.
    Eines Tages werden mich alle sehen, wie ich mich selbst sehe. Größer als sie alle. Kopf und Schultern, die über alle hinausragen, weiter blicken, weiter reichen und Lasten tragen, von denen sie nur träumen können. In Rotterdam habe ich mich lediglich fürs Überleben interessiert. Aber hier, wo ich gut zu essen habe, habe ich herausgefunden, wer ich bin. Was ich sein könnte.
    Sie halten mich vielleicht für einen Außerirdischen oder Roboter oder so etwas, nur weil ich genetisch anders bin. Aber wenn ich die großen Taten meines Lebens vollbracht habe, werden sie stolz sein, dass ich ihr Mitmensch bin, und wütend werden, wenn jemand bezweifelt, dass ich wirklich zu ihnen gehöre.
    Ich werde größer sein als Wiggin.
    Er schob den Gedanken beiseite oder versuchte es zumindest. Das hier war kein Wettbewerb. Es gab Raum für zwei große Männer gleichzeitig auf der Welt. Lee und Grant waren Zeitgenossen, hatten gegeneinander gekämpft. Bismarck und Disraeli. Napoleon und Wellington.
    Nein, das ist kein Vergleich. Sie würden wie Lincoln und Grant sein. Zwei große Männer, die zusammenarbeiten.
    Dennoch, es war entmutigend, wie selten das geschehen war. Napoleon konnte es nicht ertragen, wenn einer seiner Untergebenen echte