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Enders Schatten

Enders Schatten

Titel: Enders Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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Werte am deutlichsten vertreten waren. Aber selbst China wäre ein jämmerlicher Ersatz für eine echte Weltregierung gewesen, die über alle nationalen Interessen hinausging. Eine falsche Weltregierung wie die der Russen würde schließlich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.
    Bean sehnte sich danach, mit jemandem über diese Dinge sprechen zu können – mit Nikolai oder sogar mit einem der Lehrer. Es hielt ihn auf, wenn seine Gedanken sich im Kreis drehten. Ohne Stimulation von außen war es schwer, sich von seinen Einschätzungen loszureißen. Ein einzelner Verstand kann nur seine eigenen Fragen bedenken; er überrascht sich selten selbst. Aber Bean machte während dieser Reise und der Monate in der Taktikschule dennoch Fortschritte, wenn auch langsam.
    Die Taktikschule war ein Wirbel von kurzen Flügen und detaillierten Besichtigungen diverser Schiffe. Bean bemerkte empört, dass sie sich offenbar nur auf ältere Modelle konzentrierten, was ihm sinnlos vorkam – warum bildeten sie Kommandanten auf Schiffen aus, die im Kampf nicht mehr benutzt wurden? Aber die Lehrer taten seinen Widerspruch verächtlich ab und wiesen darauf hin, dass Schiffe im Grunde doch alle gleich seien und die neuesten Modelle sich alle auf Patrouillenflügen an den Grenzen des Sonnensystems befänden. Die Flotte konnte keines entbehren, um Kinder auszubilden.
    Man brachte ihnen sehr wenig über das Fliegen bei, denn man wollte sie nicht zu Piloten ausbilden; sie sollten den Kampf leiten und Befehle erteilen. Sie mussten ein Gefühl dafür entwickeln, wie die Waffen funktionierten, wie die Schiffe sich bewegten, was man von ihnen erwarten konnte, wo ihre Grenzen lagen. Vieles davon war rein mechanisches Lernen … aber das war genau die Art von Lernen, die Bean sogar im Schlaf beherrschte, da er sich an alles erinnern konnte, was er mit einem gewissen Maß an Aufmerksamkeit gehört oder gelesen hatte.
    Also konzentrierte er sich während der ganzen Zeit in der Taktikschule, in der er so gute Noten erhielt wie jeder andere auch, vor allem auf die Probleme der aktuellen politischen Lage auf der Erde. Die Taktikschule befand sich auf der ISB , und daher wurde die Bibliothek dort ständig erneuert, und nicht nur mit dem Material, das für Schiffsbibliotheken freigegeben war. Zum ersten Mal las Bean die Schriften der aktuellen politischen Denker der Welt. Er las, was aus Russland kam, und wieder einmal war er verblüfft darüber, wie offen sie ihrem Ehrgeiz folgten. Die chinesischen Autoren erkannten die Gefahr, aber da sie Chinesen waren, versuchten sie nicht, bei den anderen Nationen Unterstützung für irgendeine Art von Widerstand zu finden. Für die Chinesen war etwas, sobald es in China bekannt war, überall dort bekannt, wo es zählte. Und die euro-amerikanischen Nationen legten eine Art gekünstelter Ignoranz an den Tag, die Bean wie ein Todeswunsch vorkam. Auch dort gab es jedoch einige, die wach waren und sich bemühten, Koalitionen zu schaffen.
    Besonders zwei populäre Kommentatoren fielen Bean auf. Demosthenes schien auf den ersten Blick ein Aufwiegler zu sein, der Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit ausnutzte. Aber er hatte beträchtlichen Erfolg dabei, eine Volksbewegung ins Leben zu rufen. Bean wusste nicht, ob ein Leben unter einer Regierung, deren Oberhaupt Demosthenes war, besser sein würde als unter den Russen, aber Demosthenes würde zumindest einen Wettbewerb daraus machen.
    Der andere Kommentator, der Bean auffiel, war Locke, ein hochfliegender, idealistischer Bursche, der über Weltfrieden und das Schmieden von Allianzen schwatzte, aber dabei von offensichtlicher Selbstzufriedenheit durchdrungen war.
    Dabei schien Locke von den gleichen Tatsachen auszugehen wie Demosthenes und es für sicher zu halten, dass die Russen genug Energie besaßen, um die Welt zu »führen«, aber nicht bereit waren, es auf eine »wohltätige« Art und Weise zu tun. Es kam ihm manchmal so vor, als recherchierten Demosthenes und Locke gemeinsam, läsen die gleichen Quellen und hörten von den gleichen Korrespondenten, wendeten sich aber an ein grundverschiedenes Publikum.
    Eine Weile erwog Bean sogar die Möglichkeit, dass Locke und Demosthenes die gleiche Person waren, aber nein, ihr Schreibstil unterschied sich, und noch wichtiger, sie dachten und analysierten unterschiedlich. Bean hielt niemanden für intelligent genug,

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