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Enders Schatten

Enders Schatten

Titel: Enders Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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auftauchten, war China gerade die ökonomisch und militärisch dominante Weltmacht gewesen, nachdem es sich schließlich als Demokratie wiedervereinigt hatte. Die Nordamerikaner und Europäer gaben sich als Chinas »große Brüder« aus, aber das wirtschaftliche Gleichgewicht hatte sich verlagert.
    Bean erkannte allerdings sofort, dass die eigentliche Triebkraft der Geschichte das wiedererstarkende Russische Reich war. Während die Chinesen es einfach für selbstverständlich hielten, dass sie der Mittelpunkt des Universums waren und sein sollten, hatten die Russen, angestachelt von einer Reihe ehrgeiziger Demagogen und autoritärer Generäle, offenbar das Gefühl, die Geschichte hätte sie um ihren angemessenen Platz betrogen, Jahrhundert um Jahrhundert, und es wäre Zeit, dem ein Ende zu bereiten. Also hatte Russland den Neuen Warschauer Pakt geschaffen und seine faktischen Grenzen wieder so weit ausgedehnt wie zu den besten Zeiten der Sowjetmacht – und darüber hinaus, denn diesmal war es auch mit Griechenland verbündet, und die eingeschüchterte Türkei war neutral. Westeuropa stand am Rand der Neutralisierung, und der russische Traum der Vorherrschaft vom Pazifik bis zum Atlantik war endlich in greifbare Nähe gerückt.
    Und dann kamen die Formics und schlugen eine Schneise der Vernichtung durch China, die hundert Millionen tötete. Plötzlich schienen Landarmeen trivial zu sein, und Fragen internationalen Wettbewerbs wurden auf Eis gelegt.
    Aber das war nur an der Oberfläche so. Tatsächlich nutzten die Russen ihre Vorherrschaft im Amt des Polemarchen, um in der Flotte ein Netz von Offizieren in Schlüsselpositionen aufzubauen. Alles begab sich an Ort und Stelle für eine rasche Machtergreifung, sobald die Schaben besiegt waren – oder noch vorher, wenn die Russen das für vorteilhaft hielten. Seltsamerweise waren sie recht offen, was ihre Absichten anging – das waren sie immer gewesen. Sie hatten kein Talent zur Subtilität, aber das glichen sie durch verblüffenden Starrsinn wieder aus. Verhandlungen um alles Mögliche konnten Jahrzehnte dauern. Und inzwischen hatten sie die Flotte beinahe völlig durchdrungen. Infanteriekräfte, die dem Strategos treu ergeben waren, würden isoliert werden und nicht dorthin gelangen können, wo man sie brauchte, weil es keine Schiffe gab, die sie transportierten.
    Wenn der Krieg mit den Schaben zu Ende war, planten die Russen eindeutig, innerhalb von Stunden die Flotte und damit die Welt zu übernehmen. Sie waren der Ansicht, dass es ihnen zustand. Die Nordamerikaner waren so selbstzufrieden wie eh und je und sicher, dass das Schicksal alles zu ihren Gunsten wenden würde. Nur ein paar Demagogen erkannten die Gefahr. Die chinesische und die Moslemwelt waren aufmerksam geworden, aber sie waren nicht imstande, sich Russland entgegenzustemmen, weil sie die Allianz nicht brechen wollten, die den Widerstand gegenüber den Schaben erst möglich machte.
    Je mehr Bean erfuhr, desto mehr wünschte er sich, dass er nicht zur Taktikschule gehen müsste. Dieser Krieg würde Ender und seinen Freunden gehören. Und obwohl er Ender ebenso sehr mochte wie alle anderen und gerne mit ihm gegen die Schaben kämpfen würde, brauchten sie ihn im Grunde nicht. Es war der nächste Krieg, der Krieg um die Weltherrschaft, der ihn faszinierte. Die Russen konnten aufgehalten werden, wenn man die richtigen Vorbereitungen traf.
    Aber dann fragte er sich: Sollten sie denn überhaupt aufgehalten werden? Ein rascher, blutiger, aber wirkungsvoller Staatsstreich würde die ganze Welt unter die Herrschaft einer einzigen Regierung bringen – und das wäre dann das Ende der Kriege unter Menschen, oder nicht? Wären in einem solchen Klima des Friedens nicht alle Nationen besser dran?
    Also versuchte Bean, noch während er einen Plan entwickelte, die Russen aufzuhalten, herauszufinden, was ein weltweites Russisches Reich bedeuten könnte.
    Er kam zu dem Schluss, dass es keinen Bestand haben würde. Mit ihrer nationalen Energie hatten die Russen auch ihr verblüffendes Talent zur Missherrschaft genährt, dieses Gefühl persönlicher Berechtigung, das Korruption zu einem Lebensstil werden ließ. Es gab in Russland keinerlei Tradition, die besagte, dass für eine erfolgreiche Weltherrschaft so etwas wie Kompetenz erforderlich sei. Anders als in China, wo solche Institutionen und

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