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Enders Schatten

Enders Schatten

Titel: Enders Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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seltsam, sie zu umarmen. Er dachte daran, wie Poke und Achilles sich umarmt und geküsst hatten, aber er wollte Schwester Carlotta nicht küssen, und nachdem er erst einmal wusste, was es mit dem Umarmen auf sich hatte, wollte er das eigentlich auch nicht mehr. Er ließ aber zu, dass sie ihn umarmte. Obwohl er selbst nie auf die Idee kam. Es fiel ihm einfach nicht ein.
    Er wusste, dass sie ihn manchmal lieber umarmte, als etwas zu erklären, und das gefiel ihm nicht. Sie wollte ihm nicht erklären, wieso es so wichtig war, dass sie den »Sauberen Ort« fand, also umarmte sie ihn und sagte: »Ach, du liebes bisschen«, oder: »Ach, du armer Junge.« Aber das bedeutete nur, dass es ihr wichtiger war, als sie zugeben wollte, und dass sie glaubte, Bean wäre zu dumm, es zu verstehen, wenn sie es ihm erklären würde.
    Er versuchte, sich an mehr und mehr zu erinnern, aber er sagte ihr nicht alles, weil sie ihm auch nicht alles sagte, und das war nur gerecht. Er würde den »Sauberen Ort« schon finden. Auch ohne sie. Und dann würde er ihr sagen, was es damit auf sich hatte, falls er zu dem Schluss kam, dass es gut für ihn war, wenn sie es wüsste. Aber was, wenn die Antwort falsch war? Würde sie ihn dann wieder auf die Straße schicken? Würde sie ihn davon abhalten, in diese Schule am Himmel zu gehen? Das hatte sie ihm anfangs versprochen, obwohl sie nach den Tests wieder gesagt hatte, dass er zwar sehr gut gewesen sei, aber nicht in diese Schule kommen werde, bevor er fünf sei, und vielleicht nicht einmal dann, weil sie das nicht allein entscheiden könne, und da hatte er gewusst, dass sie nicht die Macht hatte, ihre eigenen Versprechen zu halten. Wenn sie also das Falsche über ihn herausfand, würde sie vielleicht gar keine Versprechen mehr halten können, nicht einmal das, ihn vor Achilles zu beschützen. Deshalb musste er es selbst herausfinden.
    Er betrachtete den Stadtplan. Er stellte sich im Kopf Dinge vor. Er sprach mit sich, wenn er einschlief, redete und dachte nach und erinnerte sich, versuchte, sich an das Gesicht des Hausmeisters zu entsinnen, an das Zimmer, in dem er gewohnt, und an die Treppe draußen, auf der diese böse Frau gestanden und ihn angeschrien hatte.
    Und eines Tages, als er dachte, er hätte sich an genug erinnert, ging Bean zur Toilette – er mochte Toiletten; er spülte gern, obwohl es ihm auch Angst machte, wenn etwas einfach so verschwand – , und statt wieder zu Schwester Carlottas Zimmer zurückzukehren, ging er den Flur in die andere Richtung entlang und direkt zu der Tür, die auf die Straße führte, und niemand versuchte ihn aufzuhalten.
    Aber dann erkannte er seinen Fehler. Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, sich zu erinnern, wo die Wohnung des Hausmeisters war, dass er nicht daran gedacht hatte herauszufinden, wo er selbst sich auf dem Stadtplan eigentlich gerade befand. Er war in keinem Teil der Stadt, den er kannte. Tatsächlich schien es kaum die gleiche Welt zu sein. Die Straßen waren nicht voller Leute, die zu Fuß gingen, Karren schoben, Fahrräder fuhren oder skateten, um von einem Ort zum anderen zu kommen; sie waren beinahe leer, und überall parkten Autos. Es gab nicht einen einzigen Laden. Es gab nur Häuser und Büros, oder Häuser, die zu Büros umgebaut worden waren, mit kleinen Schildern vorne dran. Das einzige Gebäude, das sich davon unterschied, war dasjenige, aus dem er eben gekommen war. Es war klotzig und rechteckig und größer als die anderen, aber es hatte kein Schild vorne dran.
    Er wusste, wo er hinmusste, aber er wusste nicht, wie er dorthin gelangen sollte. Und Schwester Carlotta würde bald anfangen, nach ihm zu suchen.
    Sein erster Gedanke war, sich zu verstecken, aber er entsann sich, dass sie alles darüber wusste, wie er sich an dem »Sauberen Ort« versteckt hatte, also würde sie auch jetzt annehmen, dass er sich versteckte, und an allen möglichen Stellen in der Nähe des großen Gebäudes nach ihm suchen.
    Und so rannte er. Es überraschte ihn, wie stark er jetzt war. Es fühlte sich an, als könnte er so schnell rennen, wie ein Vogel fliegt, und er wurde nicht müde und konnte immer weiter laufen. Den ganzen Weg bis zur Ecke und um die Ecke in eine andere Straße.
    Dann diese Straße entlang und noch eine, bis er sich verirrt hätte, wenn er nicht schon verirrt angefangen hätte, und wenn

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